Martin Müller-Mertens:
„Wir brauchen eine linke Sammlungsbewegung, eine Art linke Volkspartei, in der sich Linke, Teile der Grünen und der SPD zusammentun“, so Lafontaine in der gerade erschienenen Ausgabe des Spiegel. Auch eine Begründung hat der saarländische Linken-Fraktionsvorsitzende parat: „Das Parteiensystem, so wie es heute besteht, funktioniert nicht mehr.“ Als Vorbilder nannte er dabei den Kurs des britischen Labor-Vorsitzende Jeremy Corbyn und den französischen Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon .
Nur auf den ersten Blick mag Lafontaine damit durchaus auf Parteilinie liegen – immerhin hatte auch die Führung um die Vorsitzende Katja Kipping immer wieder öffentlich von linken Mehrheiten mit SPD und Grünen geträumt. Doch Äußerungen Lafontaines in der Neuen Osnabrücker Zeitung zeigen, dass es dem Politiker weniger um ein sogenanntes gesellschaftliches emanzipatorisches Projekt – mit Gender- und Migrationskult – sondern um eine Rückbesinnung auf die ökonomische wie soziale Frage geht.
„Die SPD kann sich nicht erneuern, solange ihre führenden Politiker im neoliberalen Denken gefangen sind“, sagte er dem Blatt. Er kritisierte, „dass die SPD die Rente nicht verbessern, sondern das jetzige miese Niveau nur stabilisieren will. Zudem gehe sie über das das so genannte Betriebsrentenstärkungsgesetz den Irrweg der Privatisierung der Rentenversicherung weiter. „Das ist eine Todsünde der Sozialdemokratie.“
Bereits unmittelbar nach der Bundestagswahl, bei der die Linke ihre Oppositionsführerschaft – im Falle einer Großen Koalition an die AfD – abgeben musste, hatte Lafontaine den Kurs seiner Partei scharf kritisiert. Auch im September pochte er auf eine Rückkehr der sozialen Frage, statt ein Festhalten am Asylkult: „Man darf die Lasten der Zuwanderung über verschärfte Konkurrenz im Niedriglohnsektor, steigende Mieten in Stadtteilen mit preiswertem Wohnraum und zunehmende Schwierigkeiten in Schulen mit wachsendem Anteil von Schülern mit mangelnden Sprachkenntnissen nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen sind."
Die Erfahrung in Europa lehrt: "Wenn diese Menschen sich nicht mehr durch linke bzw. sozialdemokratische Parteien vertreten fühlen, wählen sie in zunehmendem Maße rechte Parteien“, schrieb er seinerzeit in einem Beitrag auf Facebook – und löste innerhalb der Linken umgehend eine überwiegend gegen ihn geführte Debatte in der faktischen Parteizeitung Neues Deutschland aus.
Harten Widerspruch erhielt Lafontaine insbesondere von Linken-Altmeister Gregor Gysi, der seinem einstigen Co-Vorsitzenden – wohl nicht zu Unrecht – auch eine Annäherung an AfD-Wähler vorwarf. „Wenn man mehr soziale Gerechtigkeit will, darf man nicht gegen andere Arme, sondern muss man gegen ungerechtfertigten Reichtum kämpfen. Wechselten wir in dieser Frage unsere Politik grundsätzlich, dann verlören wir viele derjenigen, die uns 2017 gewählt haben, und gewönnen nur wenige hinzu. Meines Erachtens bedeutete dies auch unser Ende als linke Partei“, so Gysi Ende September im Neuen Deutschland.
Unklar ist dabei, ob der inzwischen 74-jährige sich selbst als Anführer einer neuen Sammlungsbewegung ins Spiel bringen will, oder eine Art politisches Vermächtnis formuliert. Unzweifelhaft dürfte Lafontaine vor allem seine Ehefrau, die Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Sahra Wagenknecht, bei seinem Äußerungen im Blick haben.
Die Politikerin vertritt vergleichbare Positionen zu denen des Saarländers. Innerhalb ihres Parteiestablishments gilt sie jedoch als weitgehend isoliert und überstand nach der Bundestagswahl offenbar nur mit Mühe einen Versuch der Parteiführung, die Macht der Fraktionsspitze massiv zu beschneiden
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