Heute kam noch einmal eine Email von Herrn Schlewitt aus Bansin, siehe letzte Blogbeiträge über das „Mosaik“, die ich gern hier im Blog veröffentliche, da sie in der ganz persönlichen Schilderung der Zeit um 1960 ein Stück Geschichte lebendig werden läßt. Solche persönlichen Erinnerungen sind meines Erachtens immer realistischer als irgendwelche alten Zeitungsartikel aus verstaubten Archiven.
Mir ging es nicht viel anders als Ihnen, werter Herr Schlewitt, auch ich fieberte dem Erscheinen des neuen „Mosaik“ entgegen, mochte aber gleich gern wenn ein Paket meiner Oma aus dem Westen mit „Micky-Maus"- Heften ankam. Ich fand, daß die „Micky-Maus“ damals auch niveauvoller war als später, ab Ende der 60er Jahre. Was mir auch zusagte, dies war der Innenteil mit der „MMK-Zeitung“, erlaubte sie doch mal einen Schlüssellochblick in den Westen auf gedrucktem Papier, ansonsten gab es ja nur das Fernsehen (zum Glück in Dessau gut zu empfangen). Und zum Glück kauften meine Eltern recht früh einen Fernseher (Carmen) und zum Glück waren meine Eltern recht liberale Typen, die selber Westfernsehen schauten und mir das ebenfalls nicht verboten.
Was Sie da zu den Ganztagsschulen schreiben, na da sind wir ja seelenverwandt (lol). War bei mir nicht anders und besonders heute sehe ich die Entwicklung in der Bundesrepublik hin zu Ganztagsschulen und besonders zu Kinderkrippen als schlimm an, die man verhindern sollte. Lesen Sie dazu mal meine aktuellen Blogbeiträge, siehe:
Mit den freundlichsten Grüßen
Bernd Nowack aus Dessau (Anbei zwei alte Cartoons aus meiner "Produktion". Derzeit komme ich allerdings kaum zum "Cartoonisieren", anderes läßt kaum Zeit dazu.)
Hier die Email von Rainer Schlewitt:
Zitat von Bernd Nowack:
Aber man lernt ja immer noch dazu, so die Bemerkung von Frau Bringezu, daß es auch Westberliner Leser gab, siehe Beantwortung von Leserzuschriften bis zum Mauerbau. Das war ein Aspekt der mir vollkommen neu war und worüber ich sonst noch nirgendwo gehört habe. Interessieren würde mich, ob das "Mosaik" auch in Westberlin zu kaufen war oder ob Westberliner Leser es sich aus Ostberlin besorgen mußten. Vielleicht wissen da Experten mehr und schreiben mal.
Hallo Herr Nowack, weil Sie indirekt danach fragen, melde ich mich noch einmal: - - - Zufällig wohnte ich als Kind von 1957 – 1964 in Berlin, - Ostberlin, Wilhelmsruh im Stadtbezirk Pankow. Aber sehr nahe an der Grenze zum französischen Sektor. Hinter unserm Hinterhaus fuhr die S-Bahn vorbei, dort war schon Westen. Nicht weit ab führte eine Hauptstraße zum S-Bahnhof Berlin-Wilhelmsruh und weiter unter einer Bahnbrücke hindurch nach Reinickendorf. Diesseits des S-Bahnhofes patroullierten Polizisten in grünen Uniformen, die stichprobenweise Ausweis- und Taschenkontrollen durchführten, drüben andere Uniformierte im dunklen Marineblau. Am Nachmittag ging ich mit meiner Mutti oft zum S-Bahnhof, um den Stiefvater abzuholen, der mit der Bahn von seiner Arbeitsstelle zurückkam. Jenseits des S-Bahnhofes war ein kleiner Shop, wo wir manchmal eine eisgekühlte Coca-Cola (Mini-Flasche) kauften und austranken oder Mamba-Kaubonbons. Man konnte mit Westgeld oder Ostgeld oder gemischt bezahlen, der Wechselkurs schwankte damals zwischen 1:4 und 1:5. Auf dem Bahnsteig an einem Kiosk war es möglich, Westzeitschriften zu erwerben, da hat Mutti mir auch manchmal eine „Micky Maus“ gekauft. Oder regelmäßig die „Hör zu“, des Radioprogramms wegen, in einer Spalte am Rand standen ziemlich gedrängt die Programme der „Zone“ drin, in der Mitte aber ganz groß RIAS und SFB. Auf der drittletzten Seite der „Hörzu“ fand man stets einen Einseiter-Comic um Igel Mecky, Vogel Charly u.a., der in nächsten Ausgabe dann fortgesetzt wurde. Dies guckte ich mir zwar interessiert an, aber all das – wie auch Micky Mouse, soweit ich das las, konnte mich trotz der Sprechblasen nicht annähernd so begeistern, wie die MOSAIK-Hefte, die damals erschienen, das taten. Ach so, ja, diesseits des Bahnhofs, also noch im Osten, aber unmittelbar vor der Grenze war ein anderer Zeitschriftenkiosk, und dort fragte ich regelmäßig nach dem neuem MOSAIK, immer wenn sich der Monat dem Ende zuneigte. Hatten sie es früher, als es uns die Post ins Haus brachte, dann kaufte ich zunächst dort ein Heft, denn ich konnte es kaum erwarten, die neueste Folge anzuschauen und zu lesen. Nun, so wie wir die Coca-Cola auf der anderen Seite des Bahnhofes kauften, werden auch Westberliner auf dieser Seite MOSAIKs erworben haben, das ist sehr gut vorstellbar, im Westen gab es das ansonsten, soviel ich weiß, nicht. Jedoch arbeiteten viele Westberliner im Osten, z.B. bei Bergmann-Borsig, oder umgekehrt auch Ossis in Westberlin. Und es gab viele andere Grenzübergänge nach Westberlin, wo die Einkaufsmöglichkeiten sicher ganz ähnliche waren wie die in W’ruh.
In der Berliner Schule probierte man Anfang der 60er Jahre gerade auch als neues Projekt die sogenannte "Ganztagserziehung" aus, man wollte die Schüler am liebsten bis zum Abend unter staatliche Kontrolle bringen. Das war für mich – der ohnehin ziemlich eigenbrötlerisch veranlagt – eine Sache, mit der ich überhaupt nicht klar kam. Und unsere Klassenleiterin war eine ganz Rote, deren höchste Momente im Leben es wohl waren, als sie mal persönlich mit Wilhelm Pieck sprechen durfte. Sie war schwer beleidigt, als ich zum Verkehrsunterricht mit der Deutschen Volkspolizei am Nachmittag auf dem Schulhof nicht dableiben wollte ...
Dann kam der 13. August 1961, wir machten zu der Zeit gerade Ferien an der Ostsee bei Oma und Opa. Nach dem Mauerbau wurden die Sicherheitsmaßnahmen schrittweise immer weiter verschärft. Wir wohnten im „Grenzgebiet“, vor unterem Haus gingen bewaffnete Posten auf und ab, wurden auf dem Bürgersteig Zäune gezogen. Wer dort nicht wohnte, hatte keinen Zutritt mehr, es sei denn, er hätte vorher eine Art Visum, eine Besuchserlaubnis, beantragt. Unter diesen Umständen sind wir 1964 wieder nach Bansin ins Haus der Großeltern zurückgezogen.
Verehrter Herr Nowack, stellen Sie diesen Beitrag in den Block oder nicht, ganz wie Sie es möchten, oder kürzen Sie ihn an passender Stelle.
Viele Grüße von Bansin nach Dessau
Rainer Schlewitt
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