Mittwoch, 15. April 2009

B.N. und Bildung durch Zigarettenbilder-Alben





Kindheit ist Bildungszeit! Was man als Kind nicht an Grundlagen des Wissens auf vielen Gebieten mitbekommt, dies wird man schwerlich als Erwachsener ausgleichen können. Oder können Sie sich vorstellen, liebe Leser, daß ein 50jähriger der jetzt anfängt Klavier zu spielen noch ein Konzertpianist werden kann? Oder, daß jemand der sich ein Leben lang nicht für Kunst, Geschichte und Literatur interessiert hat, auf einmal mit 60 Jahren als Rentner in Ausstellungseröffnungen gehen würde und dort fachsimpeln kann oder in Debattierklubs von Literaturinteressierten und Hobbyhistorikern sich einfinden würde, all dies aufholen könnte was ihn von Jugend an nicht interessiert hat? Wohl kaum! Wer sich ein Leben lang nicht für derlei Dinge interessiert hat, der wird dies auch nicht in einem Crashkurs lernen und noch wichtiger, wenn er bisher rechts und links nicht schauend auf die kulturellen Dinge des Lebens geachtet hat, nicht von ihnen angerührt wurde, warum sollte er auf einmal dafür sensibilisiert sein? Um ein Bild oder eine Grafik z.B. des Expressionisten Otto Mueller genießen zu können, da gehört es einfach dazu, daß man kunstwissenschaftliche Grundlagen mal erfahren hat und wenn diese auch populär daher kamen, ansonsten würde man nur rein vom ersten Bildeindruck ausgehen und nicht den Hintergrund erkennen von dem das Bild entstand, gar nicht verstehen was das Bild uns mitteilen will. Ähnlich ist es mit der Musik, auch da muß das musikalische Verständnis langsam von Kindheit an wachsen. Schwer vorstellbar, daß ein Amazonas-Indianer der bisher mit seinem Stamm abgeschieden von der Zivilisation gelebt hat, den man von einem Tag auf den anderen mal in das Opernhaus von Manaus mitnehmen würde und er dort eine Symphonie von Gustav Mahler hören würde, er dieses Klangerlebnis gut finden würde. Verständnis für Kunst, Literatur, Musik muß geschult sein, ansonsten bleibt alles an der Oberfläche. Gut vorstellen könnte ich mir allerdings, daß besagter Urwald-Indianer hoch erfreut wäre von Hip-Hop oder Karnevalsschlagern, einfach strukturierte Musik die keine große Vorbildung voraussetzt.

Bildung in der Kindheit setzt natürlich im Vorschulalter ein und da bleibt diejenige Bildung am meisten prägend die einem nicht von Eltern oder Kindergartenerzieherinnen quasi aufgezwungen wird. Es ist ein großer Unterschied ob nun in einem Zwangskollektiv in einem Kindergarten eine Erzieherin Kinder an die Kunst heranführen will oder ob dieses Kind aus eigenem Erfahrungsdrang z.B. zuhause selbständig an den heimischen Bücherschrank geht und dort sich Kunstbücher herausnimmt, sie anschaut, nicht weil die Mutter es ihm nahegelegt hat dies zutun, sondern weil es im Nachahmungstrieb handelte, sah wie die Erwachsenen zu diesen Büchern greifen und es dadurch neugierig geworden ist. Mir erging es jedenfalls so! Der heimische Bücherschrank mit all den geheimnisvollen und hoch interessanten Sachen, der zog mich schon in jüngster Kindheit an. Besonders hatten es mir die vielen Zigarettenbilder-Alben angetan, schon deshalb weil die Bilder darin zum Sehen reizten, verständlich wenn man als Vorschulkind noch nicht lesen konnte. Ja und dann konnte man ja noch die Mutter fragen, diese bitten vorzulesen oder sie fragen wer und was denn dies und das sei. Die Zigarettenbilder-Alben meiner Mutter stammten aus den 30er Jahren, da gab es diverse Alben mit der Kunst der Gotik, der Renaissance, des Barock, dann Alben in denen die heimische Flora und Fauna vertreten war, vom Alpenenzian bis hin zum Alpensalamander, eben der welcher keine bunten Flecken hat wie der normale Salamander, bis hin zu Alben über die ehemaligen deutschen Kolonien oder Orden. Besonders gern hatte ich das Zigarettenbilder-Album „Gestalten der Weltgeschichte, Miniaturen berühmter Persönlichkeiten aus vier Jahrhunderten“ herausgegeben vom Cigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld 1933. Die darin abgebildeten hunderte Persönlichkeiten, die kenne ich heute noch alle aus dem ff, so hatte mich dieses Album früher fasziniert. All die Personen der Zeitgeschichte, noch dazu in wunderbaren Miniaturmalereien, aus der Zeit des 30jährigen Krieges, von den Tudors und Stuarts in England, bis hin zu den Dichtern der deutschen Romantik, all dies interessierte mich brennend. Besonders gern schaute ich mir die Bilder aus der französischen Geschichte an und als ich später lesen konnte, vernahm ich mit Wissbegier all die Storys rund um Ludwig XV., welche Mätressen er hatte und daß er seine eigenen Töchter öfter in den Keller sperren ließ, diese bei ihm „Lumpchen“, „Schmutznickel“, „Krähe“ hießen und von ihm der Ausspruch stammte „Nach mir die Sintflut!“, aber auch mit den Philosophen dieser Zeit wurde ich erstmals bekannt wie Rousseau und Voltaire. Letzteren schätze ich heute noch und gern lese ich immer mal wieder in seinen Schriften die ich mir später als Erwachsener gekauft habe. Wäre ich überhaupt dazu gekommen Voltaire zu lesen wenn ich nicht als Kind diesen Voltaire in einem Zigarettenbilder-Album vorgefunden hätte? Hätte ich jemals kunstwissenschaftlich etwas publiziert, wie eben die Monografie über Walter Timmling, wenn ich nicht all die Kunststilalben in der Kindheit um mich gehabt hätte, mit ihnen auf Du und Du war?
Aus dem Album „Gestalten der Weltgeschichte“ ein paar Scans für diejenigen Leser die diese Zigarettenbilder-Alben nicht kennen.

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