Mittwoch, 3. April 2013

1920er Jahre: „Urania – Monatshefte für Naturerkenntnis und Gesellschaftslehre“ - Teil 6

Ich habe noch einen zweiten Aufsatz (erster Aufsatz, siehe: http://barrynoa.blogspot.de/2013/04/1920er-jahre-urania-monatshefte-fur.html) von Prof. Karl Hartwig aus einer „Urania“ von 1924 (Dezemberheft) eingescannt, da ich diesen äußerst interessant finde: „Der Werdegang der menschlichen Seele“. Man muß nicht unbedingt mit der rein materialistischen Sicht Karl Hartwigs übereinstimmen, dennoch ist viel Wahres in dem Beitrag, was leider in unserer Zeit der Restauration reaktionärer irrationaler Denkweisen bewußt in Vergessenheit geraten ist.
 
Einleuchtend und logisch ist die Erkenntnis von Hartwig, daß das Denken als späteste Funktion des Menschen in seiner seelischen Entwicklung sich am leichtesten der wirtschaftlichen Aufgabe anpaßt, das Gefühlsleben - wie Hartwig in dem Aufsatz schreibt – da älteren Datums als das Denken, bereits konterrevolutionäre Elemente (Religion, Nationalismus) aufzeigt. Das Triebleben, die älteste seelische Entwicklungsstufe des Menschen, ist am meisten im Unterbewußtsein verankert, es hat die reaktionärste Funktion, so Hartwig. Daraus folgert Hartwig analytisch:
 
„Zugleich müssen wir uns aber darüber klar sein, daß die seelische Entwicklung infolge der Beharrungstendenzen des menschlichen Unterbewußtseins nicht gleichen Schritt mit der wirtschaftlichen Entwicklung halten kann, sondern ihr zeitlich nachfolgt. Es mag paradox (auf den ersten Blick widersinnig) erscheinen, wenn ich sage: Der seelische Zeitgenosse der heutigen Wirtschaft wird erst geboren werden“.
 
Wie wahr! Daß diese Erkenntnis nicht nur für die Zeit zwischen den Weltkriegen zutraf, dies aber in besonderem Maße, da eine Zeit extremer Barbarei, sondern auch für die Nachkriegszeit galt, wo der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft an eben diesem tief verankerten reaktionärem Unterbewußtsein der Menschen scheiterte, so ist auch heute die Geburt des „neuen“ Menschen, mit dem eine wirklich gerechte Gesellschaftsordnung aufgebaut werden könnte, noch lange nicht in Sicht und dieser Mensch wird wahrscheinlich auch in späteren Jahrhunderten nie geboren werden, da der Mensch sein Unterbewußtsein nie wirklich ändern kann. 
 
Diese Schlußfolgerung zog Karl Hartwig allerdings nicht, noch war es ja eine Zeit voller Idealismus, wo man annahm, daß zumindestens in ferner Zukunft mit einem "neuen" Menschen eine gerechte Gesellschaftsordnung entstehen würde. Das Verdienst Karl Hartwigs besteht auch darin schon 1924 vor der Illusion gewarnt zu haben, daß in Bälde diese paradiesischen Zeiten erkämpft werden könnten. Ernüchterung setzte ein paar Jahre nach 1924 sowieso ein, als immer mehr deutlich wurde, daß das Experiment Sozialismus/Kommunismus vorerst real gescheitert war, siehe die damalige Entwicklung in der Sowjetunion mit seinen autoritären unfreiheitlichen Strukturen.
 


   

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