Mittwoch, 6. Mai 2009

Die kunstwissenschaftliche Zuordnung einer Bronzefigur von Vincenzo Gemito











Wie bekannt arbeitete ich viele Jahre publizistisch kunstwissenschaftlich und im Kunsthandel. Neben meinen Hauptgebieten, wie der „Neuen Sachlichkeit“, interessierte mich aber auch verschiedenes andere, wie Jugendstil und Symbolismus. Aber auch mit den Bildhauern um 1900 beschäftigte ich mich, so jetzt z.B. mit Vincenzo Gemito (1852-1929).

Gemito war ein Findelkind. Aufgewachsen in einer armen Pflegefamilie von Zimmerleuten zeigte er schon mit 9 Jahren Talent für die Bildhauerei und er erhielt von einem Gönner kurzzeitig Unterricht in dieser Kunst. Zeitlebens blieb er aber Autodidakt, denn er besuchte nie eine Akademie. Als Gemito 16 Jahre alt war erwarb der König von Italien eine Plastik von ihm, eine Sensation ohnegleichen, daß der König von so einem jungen Künstler etwas erwarb. Dies zeigte aber, daß Gemito ein außergewöhnliches Genie schon in jungen Jahren auf dem Gebiete der Bildhauerei war. Dieses Genie hielt sein ganzes Leben an, aber Genie und Wahnsinn sind ja bekanntermaßen nicht weit auseinander und in späterer Zeit verbrachte er fast 20 Jahre in psychiatrischen Krankenhäusern.

Vor ein paar Jahren erwarb ein Wittenberger Bekannter von mir bei einer Auktion des renommierten Auktionshauses Sigalas eine originale und teure Bronzeplastik von Gemito. Mit seiner freundlichen Genehmigung durfte ich Fotos machen und auf Fachseiten veröffentlichen. Erst die letzten Wochen beschäftigte ich mich ausführlicher mit dieser Figur und konnte durch vergleichende Studien den kleinen Fischerjungen kunstwissenschaftlich einordnen bzw. sogar Zeichnungen und einer alten Fotografie welche das Aktmodell zeigen zuordnen. Ich habe die Bronzefigur des Fischerjungen fotografiert und mal die in bekannten Museen befindlichen Zeichnungen den Lesern des Blogs gegenübergestellt, dazu das alte Foto welches das Aktmodell zeigt – die Zusammenhänge sind mehr als deutlich, auch für den kunstwissenschaftlichen Laien zu erkennen. Es ist auch festzustellen, daß das Aktmodell, ein neapolitanischer Junge, Modell sowohl für den Fischerjungen in Gemitos Zeichnungen und der Bronzefigur stand, wie auch bei ein, zwei anderen Zeichnungen und Plastiken, wie dem Bogenschützen und dem bekannten sitzenden Fischerjungen, dies liegt nahe.

Italien war das libertärste Land Europas um 1900, ein Überbleibsel der Antike, Prüderie wie in anderen Ländern üblich, gab es nicht! So war Nacktheit kein abgeschirmter Bereich in Malerakademien sondern wurde in der breiten Bevölkerung akzeptiert und praktiziert. Gerade Südtitalien zog deshalb viele Künstler aus dem In-und Ausland an, natürlich auch wegen der Sonne und des Lichtes und der wunderbaren Mittelmeerlandschaften, man denke da nur an den deutschen Fotokünstler Wilhelm von Gloeden der um 1900 große Erfolge in der Kunstwelt mit seinen Fotografien jugendlicher Akte in arkadischen Landschaften errang. In der Jetztzeit ist diese Freiheit auch in Italien längst verloren gegangen und der allgemeinen nordamerikanisch-europäischen Prüderie und Hysterie betreffs jugendlicher Freikörperkultur gewichen. Vincenzo Gemito ist als Bildhauer in dieser freiheitlichen antiken Tradition anzusiedeln, dies beweist seine Themenwahl in seinen Bildwerken. Gemitos Werke befinden sich in berühmten Museen und Galerien und sind preislich bei Auktionen immer im höheren Preissegment angesiedelt.

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