Dienstag, 21. Januar 2014

Erinnerung an Richard Bossert, Ernst von Willich und Wilfried von Funcke





Wer durch meine zahlreichen Blogbeiträge über Kitschpostkarten um 1900 der Meinung ist, daß auf Postkarten um diese Zeit nur Kitsch und Triviales abgebildet war, der täuscht sich, denn es gab auch Postkarten die von wirklich guten Künstlern gemacht wurden, die weder kitschig noch trivial waren.

Eine dieser Karten aus meiner Sammlung möchte ich heute vorstellen. Sie stammt aus dem Jahre 1905 und zeigt eine Grafik von Richard Bossert „Auf der Pleisse“. Sie gefällt mir auch deshalb sehr, weil diese Szene mich an die Kanäle des Wörlitzer Sees im Wörlitzer Park erinnern, wo man auch unter einem natürlichen Dom von Bäumen entlang schippern kann, so wie auf der Grafik zu sehen. Zu dem Künstler Richard Bossert, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Richard_Bossert.

Interessant bei dieser Karte, die von Leipzig aus gesendet wurde, ist der Empfangsort: Graupen in Böhmen. 1905 war es gerade ein Jahr her, daß ein Großteil der Stadt durch ein Feuer vernichtet wurde. Dieses Feuer ging damals durch die Weltpresse. Graupen wurde wieder aufgebaut. Bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörig war es immer mehrheitlich von Deutschen bewohnt (1930: 3.282 Deutsche und 364 Tschechen), die 1945 alle vertrieben wurden. Daran erinnert, in der nun Krupka heißenden Stadt Graupen, nichts mehr. Daß die Geschichte einmal so laufen würde, daran hätten wohl Kartenschreiber wie auch der Kartenempfänger, ein Vikar, namens Wilfried von Funcke damals wohl im Traum nicht gedacht. Über diesen späteren Pfarrer von Funcke ist kaum etwas überliefert, aber ausgerechnet ein Gedicht im Tochter-Album „Herzblättchens Zeitvertreib“ der Thekla von Gumpert ist von ihm überliefert. Thekla von Gumpert schrieb auch eine kurze Erinnerung an Wilfried von Funcke, als sie ihn als 13jährigen jungen Dichter kennen lernte. Ich habe diese Passagen mal hier eingefügt. Wie man lesen kann war der junge Wilfried von Funcke schon als 13jähriger Junge dem Christlichen zugewandt, kein Wunder, daß er später die Pfarrerslaufbahn einschlug.


Thekla von Gumpert:


Es ist einst vielfach besprochen worden, daß Kaiser Friedrich III. das Lied eines dreizehnjährigen Knaben, Ernst von Willich, sein Lieblingslied genannt hat; ich will dasselbe hier meinen jungen Leserinnen nochmals mitteilen; für manche wird es eine Erinnerung sein, anderen ist es noch neu.

Kaiser Friedrichs III. Lieblingslied.

Wenn der Herr ein Kreuze schickt,
Laßt es uns geduldig tragen,
Betend zu ihm aufgeblickt,
Wird den Trost er nicht versagen;
Drum, es komme, wie es will,
In dem Herren bin ich still.

Ist auch oftmals unser Herz
Schwach und will wohl gar verzagen,
Wenn es in dem stärksten Schmerz
Keinen Freudentag sieht tagen,
Sagt ihm: Komm’ es, wie es will,
In dem Herren bin ich still.

Darum bitt’ ich, Herr, mein Gott,
Laß mich immer glaubend hoffen;
Alsdann kenn’ ich keine Rot;
Gottes Gnadenhand ist offen!
Drum, es komme, wie es will,
In dem Herren bin ich still.

Ernst von Willich.

An dies rührend fromme Lied eines Knaben wurde ich im Sommer 1892 durch einen Besuch erinnert. Es kam ein fremder, auch dreizehnjähriger Knabe zu mir, Wilfried von Funcke aus Dresden, begleitet von einer älteren Freundin, die er “Tante” nannte; er machte den zweiten Versuch, mich anzutreffen; längere Zeit vorher war er mit seiner Mutter in meiner Wohnung gewesen, hatte mich aber nicht zu Hause gefunden. Als wir gemütlich zur Unterhaltung kamen, zeigte Wilfried mir ein Buch, ein gedrucktes Buch mit vielen kleinen Erzählungen; auf dem Titelblatte stand mit großen Buchstaben: Ein neues Herzblättchens Zeitvertreib. Die Erzählungen hatte er als etwa zehnjähriger Knabe nach und nach geschrieben und auf einer Schreibmaschine auch selbst gedruckt. Eine Geschichte, “Auf der Vogelwiese,” las mir Wilfried vor und fragte mich, ob ich dieselbe in mein “Herzblättchens Zeitvertreib” aufnehmen wolle. Sein Geschichtchen war sehr hübsch; er hatte es selbst auf Dresdens Vogelwiese erlebt; aber ich war nicht gleich bereit, es aufzunehmen. Kinder schicken mir oft Erzählungen und Gedichtchen, die sie im Zeitvertreib um Weihnachten gedruckt wiedersehen möchten; es ist manches davon auch ganz niedlich; aber ich fürchte, durch Erfüllung dieses Wunsches ihnen Schaden zu thun; sie sollen ihre Einbildungskraft im Zaum halten und sich mit Dingen beschäftigen, welche in der Schule gelehrt werden; nach dem Unterricht haben sie ihre Aufgaben zu machen, und die freie Zeit benutzten sie am besten zum Spazierengehen, zum Spiel im Freien; das erfordert ihre Gesundheit. Der Verfasser und Drucker des neuen Zeitvertreibs war jetzt freilich kein kleines Kind mehr; aber ich sagte ihm doch meine Meinung, auch in Rücksicht auf seine Eltern, die vielleicht mit mir übereinstimmten. Hierauf sagte Wilfried: “Meine Eltern und Lehrer haben mich auch auf die Gefahr aufmerksam gemacht, welche in meiner Lust zum Dichten liegt; aber ich will ja meine Schularbeiten deshalb nicht versäumen.” Seine Tante fügte hinzu: “Willi ist fleißig; er bringt stets gute Zeugnisse nach Hause; ein Beweis dafür, daß er fleißig lernt, ist auch, daß er jüngst im Gymnasium nach der Sekunda versetzt wurde.” - Ich nahm dann sein Geschichtchen an, und es steht bereits abgedruckt im 37. Bande von Herzblättchens Zeitvertreib, der zu Weihnachten 1892 erschien; es ist unterschrieben Wilfried v. F. Während Wilfried mit seiner Tante bei mir war, forderte diese ihn auf, mir sein Trostlied aufzusagen; er that es, und dasselbe erinnerte mich an das Trostlied des dreizehnjährigen Ernst von Willich.
*Ernst von Willich, geboren den 25. Februar 1860, gestorben den 4. Febuaur 1873.
Wilfrieds Lied erregte mein Staunen; ich sagte, daß ich es gern ins “Tochter- Album” aufnehmen wolle; aber ich wiederholte die früher ausgesprochene Besorgnis, daß es ihm Schaden thun könne, wenn man das offenbar ihm von Gott geschenkte Talent zu früh fördern wolle; das frühe Vorwärtstreiben sei ohnehin eine falsche Richtung in unseren Tagen; es überreize und mache nervös, und seine Eltern würden sich vielleicht scheuen, ihn als Treibhauspflanze zu erziehen. Hierauf erwiderte Wilfried, seine Eltern wüßten, daß er dichte; er habe bereits vierzig Gesangbuchlieder fertig, ohne dadurch seinen Schularbeiten Eintrag zu thun. Natürlich freute ihn der Gedanke, sein Trostlied für das “Tochter- Album” angenommen zu sehen; er sagte aber, daß dieses Lied mit seinem vollen Namen unterschrieben werden müsse; denn er wolle einst seine Gedichte herausgeben; das Trostlied gehöre dazu und müsse jetzt schon seinen Namen tragen. Ich hatte hiergegen nichts einzuwenden, forderte ihn nur auf, die ganze Angelegenheit vom Willen seiner Eltern abhängig zu machen, und mir dann Nachricht zu geben. Nach kurzer Zeit erhielt ich das Lied; es lautet:

Trostlied
von Wilfried von Funcke.

Sei getrost zu allen Zeiten,
Seih’, der liebe Gott ist hier,
Der dich immer wird begleiten
Und von Herzen gern auch dir
Hilft in aller deiner Not;
Sei getrost, er lebt, dein Gott!
Ja, er lebt, wird niemals sterben,
Sondern bleibet fort und fort,
Wird dein Leben dir erwerben,

Bist du irgendwo alleine
Oder ist es finst’re Nacht,
Gott wird dann in hellem Scheine
Über dir treu halten Wacht!
Auch in deiner größten Not
Sei getrost, er lebt, dein Gott!

Ja, der treue Gott wacht immer,
Sieht bis in dein Herz hinein,
Unter seinem Gnadenschimmer
Sind wir Menschen alle sein.
Wie im Leben, so im Tod
Sei getrost, er lebt, dein Gott!

Bleibt dein Tröster, Schutz und Hort;
Ist von dir auch jemand tot,
Sei getrost, er lebt bei Gott!
Unter Gottes Schutz und Rate
Leben wir gemeinschaftlich,
Und um seine Lieb’ und Gnade
Bitten wir ihn inniglich.
Sieh’, er half vom ew’gen Tod;
Sei getrost, er lebt, dein Gott!

Er wird einstmals dich aus Gnaden
In den Himmel nehmen auf,
Wo du frei von allem Schaden
B’ginnst den neuen Lebenslauf.
Sorg’ dich nicht in deiner Not,
Sei getrost, er lebt, dein Gott

O, mein Gott, hab’ du Erbarmen
Über diese sünd’ge Welt,
Nimm uns auf in deinen Armen
Und in Jesu Himmelszelt;
Sieh’ nach deiner Gnad’ mich an,
Daß zu dir ich kommen kann!
Amen.

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