Donnerstag, 2. Januar 2014

Prosit Neujahr 1914




Am 31.12.1913 schickte ein Richard die Prosit-Neujahr-Karte (1. Scan) an ein Fräulein Frida Russig in Rennersdorf bei Stolpen/S. Ob dieser Richard zur Bourgeoisie gehörte, die mit Sekt das neue Jahr begrüßte - eine Sitte, die um 1900 sich bei der reichen Oberschicht einbürgerte - dies ist nicht sicher, denn auch die ärmeren Schichten, welche die Mehrheit im Deutschland der Kaiserzeit bildeten, die kauften solche Karten und verschickten sie, obwohl sie sich keinen Sekt leisten konnten.

Die Unsitte, mit Freude das neue Jahr zu begrüßen, bei der Oberschicht mit Sekt, Feuerwerk und großen Bällen, bei der armen Mehrheit mit Heringssalat (Heringe waren in der Kaiserzeit extrem billig) und Bleigießen, die ist bis heute geblieben, obwohl es doch eigentlich paradox ist, etwas freudig zu begrüßen, wo man nicht weiß, was es einem bringen wird. Statt Freude und Sektlaune wurde und wird dann das kommende Jahr oft ein Jahr des Elends und Todes, wie eben das Jahr 1914, welches besonders euphorisch begrüßt wurde, denn Deutschland befand sich auf dem Zenit der Macht. Natürlich hatte das einfache Volk nichts davon, aber dem Adel, der Bourgeoisie und den kleinbürgerlichen deutschtümelnden Spießbürgern juckte es schon wieder in den Fingern nach einem Krieg, zu lange war für dieses Gesindel der letzte Krieg her, über 40 Jahre war schon Frieden, denn der letzte Krieg in den Deutschland verwickelt war, war der siegreiche Krieg gegen Frankreich 1870/71.

Die zweite von mir eingescannte Postkarte zeigt bourgeoises dekadentes Gesindel der Kaiserzeit an einem Tisch in Sektlaune, die nur deshalb ein wenig vermiest wurde, da auf Sekt seit 1902 eine nicht unerhebliche Sondersteuer, die sogenannte Sektsteuer erhoben wurde (Bis heute beibehalten!). Die sollte dazu dienen die kaiserliche Kriegsmarine aufzubauen. Aber das bourgeoise Pack schlürfte gerne den nun teureren Sekt für einen zukünftigen Krieg und der Adel sowieso.

„Prosit Neujahr“ steht auch auf der nachfolgenden Postkarte, welche Herren eines Kriegervereins zeigt. Diese Kriegervereine waren übler Nährboden für die Kriegstreiberei, die zum I. Weltkrieg führte.

Aber man sollte nun nicht alles Üble dem Adel und der Bourgeoisie zuschieben, denn auch die deutsche Sozialdemokratie war keinesfalls pazifistisch. Diese Partei war schon seit der Kaiserzeit zu einer Arbeiterverräterpartei geworden, also nicht erst seit der Weimarer Zeit, wo die SPD-Regierung auf das Volk schießen ließ, siehe Noske etc., sondern sie waren es, welche mit einer einzigen Gegenstimme - der von Karl Liebknecht - die Kriegskredite im Reichstag bewilligten.

Kriegskredite bewilligen war den „Genossen“ wichtiger als die Not der einfachen Bevölkerung zu lindern, die unter anderem Wohnungsnot war. Es bestand ja kein Mangel an Wohnraum, nur der war eben ungleich verteilt. „Gleichmacherei“ wollten die Ausbeuterklassen schon damals nicht. Während der Adel in Schlössern mit oft hunderten Zimmern wohnte, die Bourgeoisie in großen Villen oder riesigen Stadtwohnungen, mußten die ausgebeuteten Massen entweder in Kleinstwohnungen - mit oft vielen Kindern, nur eine Küche und ein Wohnraum - oder in absoluten Elendsquartieren hausen. Zille hat dies uns sehr eindringlich vor Augen geführt, die ungleiche Klassengesellschaft der Kaiserzeit, mit ihren Schlafburschen, die in Schichten als Untermieter das einzige Bett in der Wohnung sich mit den Mietern teilen mußten.

Die unterste Karte ist eine der ganz seltenen, die in dieser Zeit die Wohnungsnot thematisiert, allerdings in einer Form welche das Elend lächerlich macht, siehe das Lustigmachen über Menschen die aus ihrer Wohnung ins Freie ziehen, der Text dazu:

Im engsten Wohnungs-Notquartier

haust hier zusammen Mensch und Tier.
So wird der Wohnungsnot begegnet,

wenn´s bloß nicht in die Bude regnet!

Der deutsche Spießbürger amüsierte sich köstlich über solche „Witz"-Zeichnungen, den revolutionär und sozial gerecht Denkenden, die es auch zu dieser Zeit gab, allerdings als kleine Minderheit, blieb da natürlich das Lachen im Halse stecken. Als Anhänger der „Gleichmacherei“ bekämpft, war es allerdings auch Ansporn für sie, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern. Dazu war aber 1914 die Zeit noch nicht reif.

Sehr viel hat sich allerdings in den 100 Jahren, seit 1914, nicht geändert, noch immer lebt die Bourgeoisie in Saus und Braus und bezahlbarer Wohnraum ist knapp und das reiche Deutschland hat wie damals jede Menge Wohnungslose und Obdachlose müssen auf der Straße vegetieren. Und der deutsche Spießbürger, der oft selber am Rande des sozialen Abstiegs steht, lehnt „Gleichmacherei“ als Teufelswerk ab, wie eben damals schon. Ein autoritärer Lehrer würde zu dem Schüler namens „Deutsches Volk“ sagen: „Nichts gelernt, setzen, 6!“


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