Dienstag, 23. Februar 2010

"Nur" eine Schachtel Zigaretten der Marke Sevt


Kleine Dinge haben oft Assoziationen zu Menschen und Begebenheiten die oberflächlich gesehen unbedeutend sind. Es ist merkwürdig, zu DDR-Zeiten hatte ich nie die bulgarischen „Sevt“-Zigaretten (mazedonischer Tabak) geraucht, denn in meinem rauchfähigen Alter da gab es diese Sorte schon nicht mehr im Handel. Aber schon als Kind sog ich begierig alles in mich auf was optisch ansprechend war und sei es eine Zigarettenschachtel, welche ich nach der grafischen Gelungenheit der Verpackung beurteilte. Besonders gefielen mir Zigarettenmarken mit figürlichen Darstellungen, wie die „Carmen“ oder die nostalgisch wirkende „Orient“, siehe meine Kolumne:
http://barrynoa.blogspot.com/2008/03/altes-zigaretten-in-der-ddr.html  .


In dieser Kolumne schrieb ich, daß ich leider keine „Sevt“-Schachtel in meinen Sammlungen alter DDR-Zigaretten hätte, nun heute kann ich zumindestens ein Foto einer solchen Schachtel nachreichen. Ewig hatte ich nach dem Design dieser Zigarettenschachtel gesucht, nirgends war mehr ein Exemplar aufzutreiben - bis heute! Es muß 50 Jahre her sein, daß ich zum ersten und letzten mal eine „Sevt“-Schachtel sah und ich mir das Design einprägte – alte antike Streitwagen! Auch den Ort dieses Einprägens weiß ich noch und die beteiligten Personen! Ich fuhr als Kind in der Straßenbahn und mir gegenüber saß ein blinder älterer Mann so ca. 60 Jahre alt, neben ihm seine Tochter, die in meinem Alter war. Ich kannte diesen Mann vom Ansehen, denn er wohnte bei uns im Viertel, ein sehr distinguierter feiner Mensch, der trotz seiner Blindheit eine sehr viel jüngere Frau geheiratet hatte und die ein Kind von ihm bekommen hatte, eben das Mädchen was neben ihm in der Straßenbahn saß. Auch wußte ich, daß meine Mutter ein paar mal Mittagessen von der Volkssolidarität zu ihm gebracht hatte, dies gab es damals wie heute das Essen auf Rädern, nur daß zu DDR-Zeiten die Austräger mit dem Fahrrad fuhren. Diesen Dienst des Essenbringens hatte meine Mutter mal kurze Zeit übernommen.


Nun, jedenfalls in besagter Straßenbahn, da hatte dieser blinde Mann eine Schachtel „Sevt“ in der Hand und befühlte sie ausgiebig und fragte dann seine Tochter was denn wohl auf der Schachtel drauf wäre. Sie erzählte ihm es dann - ziemlich lustlos! Mein Blick fiel auch auf diese Zigarettenschachtel und die Grafik darauf prägte sich mir merkwürdigerweise unauslöschlich ein: antike Streitwagen auf gelbem Grund! Wer sich darüber wundert, der sollte wissen, daß wahrscheinlich alle die, die später mal bildnerisch künstlerisch selber arbeiten vorher mit den Augen intensiver als andere sehen, sich Dinge jeglicher Art einprägen, diese nach ästhetischen Gesichtspunkten beurteilen und dies natürlich auch schon im Kindesalter. Jedenfalls gefiel mir dieses Design, sonst hätte ich es mir nicht so intensiv einprägen können. Was mich schon damals berührte, dies war, daß dieser Mann nicht sehen konnte, er sich die Umwelt, wie diese Zigarettenschachtel erklären lassen musste. Dieses Schicksal hielt ich schon als Kind für ein ganz besonders Schlimmes, schlimmer als alle möglichen anderen Gebrechen und ich kann auch heute noch nicht verstehen, wenn Mitmenschen von Blinden Anforderungen stellen wie von anderen Behinderten, sie gar meinen man müsse eben mit der Blindheit leben können, sich einrichten können in diese schreckliche Behinderung. Diese Mitmenschen haben klug reden, wie alle Typen die von Dingen reden die sie nicht selber durchmachen müssen schnacken sie klug oder besser: unklug, ja dumm, ja primitiv! Oft sind es leider die Sensiblen die das schwere Schicksal der Blindheit erleiden müssen. Und wie auch ansonsten die Gnadengaben im Leben ungerechtest verteilt sind, wie Wohlergehen und Erfolg, so trifft dies besonders auch auf die Gesundheit zu: da stirbt ein besonders kluges und sensibles Kind vielleicht schon im Alter von 10 Jahren qualvoll an Krebs und ein mißratenes grobschlächtiges Kind erfreut sich bester Gesundheit und lebt auch später in primitiver spießbürgerlich-proletenhafter Lebensweise ein minderwertiges Leben vor sich hin und dies eventuell bis ins hohe Alter hinein. Daß bei dieser krassen Ungerechtigkeit auf Erden schon manch eigentlich christlich denkender Mensch an Gottes Existenz zweifelt, dies kann man gut verstehen. Schon in den Psalmen überwiegen die Klagelieder diejenigen die das Leben lobpreisen. Daß nun auf Erden es keine Gerechtigkeit gibt, dies müssen wir uns schmerzhaft bewußt machen und Trost kann nur der Glaube an eine himmlische Gerechtigkeit nach dem Tode geben.


Noch zweimal wurde ich an den feinen blinden Mann mit der „Sevt-Zigarettenschachtel erinnert, 30 Jahre später sah ich seine Tochter mal, ganz anders als ihr vornehmer Vater, sehr gewöhnlich und in schlechtem Milieu - etliche Kinder von verschiedenen Männern und leichtlebig. Ein Bekannter von mir war befreundet mit einem Sohn von ihr, also dem Enkel des blinden Mannes. Mit 17 Jahren wählte er den Freitod, er sprang aus dem Fenster eines Hochhauses, während seine Mutter sich mit zwei ausländischen Herren im Nebenzimmer „vergnügte“. Mit 17 Jahren in den Freitod! Auch er war ein sensibler Typ, ganz anders als seine Mutter, wahrscheinlich nach seinem blinden Großvater geraten - zu sensibel für eine primitive Umwelt!

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