Dienstag, 5. Februar 2013

Mein Urgroßvater Max Dennhardt und die Dessauer Central-Werkstatt




Es fielen mir heute weitere Fotos aus dem Nachlaß meines Urgroßvaters Max Dennhardt in die Hände, Grund die Fragmente von dem was mir über ihn überliefert wurde aufzuschreiben. 

Das obige Porträt des bekannten Dessauer Fotografenmeisters Theis zeigt meinen Urgroßvater als Pensionär im Jahre 1930. Eigentlich hatte er ein tragisches Leben gehabt, denn aus wohlhabender Familie stammend, wurde er im Alter von 3 Jahren zusammen mit seinem 10 Jahre älteren Bruder Vollwaise. Daß dieser Verlust ein ganzes Leben prägt, ist einleuchtend. Hinzu kam, daß sein 10 Jahre älterer Bruder von den Verwandten, welche die Vormundschaft hatten, immer vorgezogen wurde. Diese Verwandten hatten die beiden Jungs aufgenommen und verwalteten das nicht unbeträchtliche Vermögen welches die Eltern hinterlassen hatten. Man kann aber eher sagen, sie veruntreuten dieses Vermögen. Den Bruder von Max ließen die Vormünder noch studieren, bei Max war angeblich das Geld aufgebraucht und er wurde in eine Werkzeugmacherlehre geschickt, was Max nie verwinden konnte, zumal sein Bruder ein fideles Leben als Student geführt hatte und später eine Buchhandlung und einen Verlag aufmachte und ein paar weitere Unternehmen gründete, er relativ reich war, aber nie sich mehr um seinen kleinen Bruder kümmerte, auch später nicht. 

Unter großen Mühen mußte sich Max hocharbeiten, in einem Arbeits-Milieu was ihm als literarisch und musisch gebildeter Mensch eigentlich überhaupt nicht lag. Damals kostete eine Meisterausbildung viel Geld, und Facharbeiter konnten diese Ausbildung sich kaum leisten. Unter größten finanziellen Opfern absolvierte er dennoch eine Meisterausbildung und war jahrzehntelang in der Dessauer Central-Werkstatt Meister. Diese Central-Werkstatt (später Gasgerätewerk Dessau) war um 1900 ein Hort großer technischer Innovationen (siehe die obigen Reklamemarken mit den verschiedenen Produkten welche die Central-Werkstatt herstellte), an denen mein Urgroßvater seinen Anteil hatte, da er sehr oft bei den Tüfteleien der Ingenieure mit einbezogen war. 

Um 1900 waren die Löhne niedrig, durch das Können von Max aber, hatte er ein für damalige Verhältnisse sehr gutes Einkommen, so daß er ein schönes Haus in der Dessau-Ziebigker Schulstraße kaufen konnte und seine 8 Kinder die ihm seine Frau Anna, eine geborene Dolge, schenkte, mußten nicht hungern und sie konnten höhere Schulen besuchen, was damals ein finanzieller Kraftakt war, zumal an den höheren Schulen viel Wert auf gute Kleidung gelegt wurde. Alle Kleider für die Mädchen und sogar die Anzüge für die Jungen schneiderte meine Urgroßmuttter Anna selbst und dies so, daß sie von Schneidermeistern gefertigte Sachen nicht zu unterscheiden waren. Sie war überhaupt eine mehr als tüchtige Frau, die allein den Haushalt machte, ohne Personal, wie es damals eigentlich üblich war, d.h. die aufwändige Wäsche, den Garten, die Hühner und wie gesagt 8 Kinder am Halse hatte, mit Kochen, Putzen und allem was damit zusammenhing. Relativ jung starb sie an einem Schlaganfall, wahrscheinlich wegen dieser Überlastung. Ein Schicksalsschlag nach dem andern traf die Familie. Ein kleiner Albert starb mit 3 Jahren, und der zweite ebenfalls Albert genannte Junge wurde im Alter von 15 Jahren erschossen. Über diesen Fall, der damals in Dessau Stadtgespräch war, hatte ich ja schon einen Beitrag hier im Blog geschrieben, siehe: http://barrynoa.blogspot.de/2010/02/der-mord-meinem-onkel-albert-vor-90.html .

All dies verbitterte meinen Urgroßvater, zumal er auch noch 6.000 Goldmark, die er mühsam gespart hatte, nach 1918 durch die Geldentwertung vollkommen verloren hatte. Meine Mutter war in den Ferien oder zu Weihnachten viel bei meinem Urgroßvater und es gefiel ihr sehr gut bei ihm, obwohl er ein ganz schweigsamer Mensch war, der kaum mal ein Wort mit meiner Mutter oder seinen Töchtern sprach (eine seiner Töchter, die Schwester meiner Oma, meine Tante Therese, Rese genannt, führte ihm den Haushalt), Dies war allerdings schon Ende der 20er Jahre und Max ein Rentner mit guter Pension. In diesem Haushalt, wo kaum gesprochen werden durfte, wurde aber viel Radio gehört, so Sonntag früh immer das Hafenkonzert aus Hamburg, und es wurde viel gelesen, neben Büchern der Klassik, auch Illustrierte und besonders die Hefte der Reformbewegung, deren Anhänger Max war. 

Es wurde selbstverständlich auch von ihm im Reformhaus eingekauft. Dies geschah am Samstag Vormittag, wo er das Haus verließ, mit Hut, Stock und natürlich im Anzug mit Krawatte – mein Urgroßvater verließ privat nie das Haus leger angezogen, sondern immer nur mit Mantel, Hut, Anzug, Krawatte, Stock, Taschenuhr an der Goldkette, da war er sehr eigen – und es ging zu Fuß in die Stadt auf den Markt zu den dortigen Markthändlern, dann in das Reformhaus und anschließend in ein Lokal, wo er sich immer einen halben Liter Bier gönnte. Flaschenbier oder Lokalgänge sonst, lehnte er ab, so wie er es auch ablehnte Weihnachten und Ostern zu feiern, jedenfalls in der Zeit nach dem Tode seiner Frau. 

Und wie auch schon sein 15jähriger Sohn Albert leiden mußte, als er mit dem Tode rang und man dem armen Jungen in dem Krankenhaus der Anhaltischen Diakonissen-Anstalt kein Morphium gab (das einzigste wirksame Mittel damals gegen große Schmerzen), dieser schwer leiden mußte, währenddessen morphiumsüchtige Ärzte dort das Morphium für sich verbrauchten oder an „Kameraden“ verscherbelten, so erging es auch meinem Urgroßvater. Der ehemals massige Mann hatte Magenkrebs und war bis zum Skelett abgemagert. Wieder bekam auch er in dem Krankenhaus der Anhaltischen Diakonissen-Anstalt kein Morphium, obwohl er vor Schmerzen schrie, wie mir überliefert wurde. Man schickte ihn nach nur wenigen Tagen Klinikaufenthalt nach Hause, wo die vollkommen überforderten Töchter ihn pflegten bis er elendiglich starb, ohne eine wirksame Schmerztherapie. 

Die Anhaltische Diakonissen-Anstalt war berüchtigt für ihre Hartherzigkeit, angefangen von der Unmenschlichkeit in ihrem Kindergarten, siehe dazu auch meinen Blogbeitrag: http://barrynoa.blogspot.de/2008/07/die-trostlose-kindheit-meiner-mutter.html, bis hin zu ihrem Klassendenken, wo nur sehr reiche Bürger oder eifrige Kirchgänger gut behandelt wurden, aber andere Bürger nicht. Obwohl mein Urgroßvater Kirchensteuerzahler war, ging er nie in die Kirche, da er als Reformanhänger auch Freidenker war, und solche Leute ließ die damalige Kirche das spüren, so durch Verweigerung notwendiger Medikamentengabe in ihrem Krankenhaus. Die Weimarer Zeit war also durchaus keine humane Zeit, ganz im Gegenteil. Was man der Ehrlichkeit halber erwähnen muß, das ist, daß erst die Nazis der Korruption, der Klassenmedizin und der Bevorzugung von Kirchgängern in dem Krankenhaus der Anhaltischen Diakonissen-Anstalt ein Ende setzten. Wie mir früher meine Tante Therese erzählte, war es ab Mitte der 30er Jahre dort anders, es bekam nun jeder die notwendige Behandlung, nachdem damalige NS-Stellen dem Morphiummißbrauch für Nichtkranke ein Ende gesetzt hatten und den kirchlichen Einfluß eingeschränkt hatten. 

So ewig lange ist mein Urgroßvater nun tot, sein Grab und das seiner Frau aufgrund der pietätlosen deutschen Friedhofsordnungen längst eingeebnet, aber eine seiner Rosen, die er 1885 (!) pflanzte, die lebt immer noch, sie erfreut mich in meinem Garten, d.h. ein damals abgetrennter Ableger, siehe:
http://barrynoa.blogspot.de/2008/06/es-ist-rosenzeit.html
http://barrynoa.blogspot.de/2011/07/aus-alter-zeit-rose-und-glas-von-1885.html   
http://barrynoa.blogspot.de/2012/06/meine-127jahrige-alte-englische-rose.html  

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