Heute hätte mein Opa Gustav (Großvater
mütterlicherseits) Geburtstag. Erst dieser Tage schrieb ich einen Blogbeitrag
über ihn und seinen Lieblings-Tabak, siehe: http://barrynoa.blogspot.de/2013/02/opa-gustavs-tabak.html
.
Am 23.2.1891 in Dessau geboren, siehe
seinen Taufschein, wurde er in eine Zeit hinein geboren, wo er zwei Weltkriege
erleben mußte, den I. Weltkrieg als aktiver Soldat an der Front, den II.
Weltkrieg als Rüstungsarbeiter an der Heimatfront. Für viele Menschen war die
Zeit um 1900 ein goldenes Zeitalter, aber nicht für meinen Großvater.
Er wuchs
in einem extrem strengen Elternhaus auf, wo statt Liebe der Siebenträhner
(Klopfpeitsche mit 7 Lederriemen) herrschte. Großvater erzählte oft von seiner
Kindheit, von seiner Jugendzeit und von seiner Zeit beim kaiserlichen Militär,
so daß viele seiner Geschichten mir immer noch in Erinnerung sind. Grauenvoll
für heutige Verhältnisse die preußische „Erziehung“ in der Kindheit. So war es
üblich, daß die Frauen Mittagessen zuhause kochten und es ihren Männern in die
Fabrik brachten. Anders bei meinem Opa. Dort lief es so ab, daß Gustavs Mutter
zwar das Essen kochte, aber es statt in die weit entfernt gelegene Fabrik zu
bringen, es zur Schule brachte, wo sie auf dem Schulhof stand und wartete, daß
der kleine Gustav runter kommen würde um es dem Vater zu bringen (siehe: Foto
der Essenträgerjungen aus dieser Zeit).
Allerdings war an etlichen Tagen in der
Woche oft zu dieser Zeit noch Schule und Gustav mußte sich aus der Schule
stehlen, denn tat er dies nicht, so hätte es zuhause Dresche mit dem
Siebensträhner gegeben. Prügel gab es aber auf jeden Fall, denn am nächsten
Morgen in der Schule schlug der Kantor – „Kanter“ im anhaltischen genannt -
erbarmungslos mit dem Rohrstock Gustav wegen des verfrühten Abhauens aus der
Schule. Nach vollzogener Züchtigung mußte Gustav noch ein Dankgebet für die
erhaltene Dresche sprechen. Dieser „fromme“ Kirchenmann und Lehrer in einer
Person war der typische preußische Deutsche seiner Zeit und ein typischer
Unpädagoge, denn statt mal die Mutter zu laden und der zu verbieten den Jungen
zu drängen früher aus der Schule abzuhauen, kannte er nur das Schlagen ohne
Sinn und Verstand. Dieses kindliche Martyrium war garantiert auch Auslöser von
Opas späterer Abkehr von der Kirche, die eine Kirche der Unterdrückung
einfacher Menschen war und voll auf der Seite der Ausbeuter stand oder selbst
Unterdrücker war, dies bis 1945, denn sowohl in der Weimarer Zeit wie in der
Nazizeit stand die anhaltische evangelische Kirche voll auf Seiten der
Herrschenden.
Auch wenn eigentlich keine krasse Armut
in der Familie Simolke herrschte, denn seine Mutter stammte aus der nicht
gerade armen Binnenschifferfamilie Naumann und durch ihre Mitgift hatte sie ein
Mietshaus in der Dessauer Törtener Straße bauen können, wo die Familie in einer
Wohnung wohnte (Parterre) und die anderen Wohnungen vermietet waren, war
dennoch spartanische Lebensweise angesagt, ein Leben in preußischer
„Disziplin“, wo Wohlleben als undeutsch galt. Um sich mal ein wenig was leisten
zu können, da mußte Gustav schon als unter 10jähriger Knabe sich als Kegeljunge
verdingen, meistens bis Mitternacht in einer Kneipe mit Kegelbahn die Kegel
aufstellen. Der Lohn betrug ganze 20 Pfennige und ein paar Limonaden den Abend.
Für das Geld kaufte er sich am nächsten Tag dann beim Bäcker 2 Stück
Käsekuchen, den er gern aß. Als er ein wenig älter war übernahm er auch das
Wegbringen von Hunden zum Schlachthof, wo diese armen Tiere geschlachtet
wurden. Auftraggeber war der städtische Hundefänger. Für diesen Weg mit Hunden,
vor denen er oft große Angst hatte, bekam er 50 Pfennige, dies alles als Kind
unter 14 Jahren.
Mit 14 Jahren kam er in die Lehre, er lernte Maurer, obwohl er
eigentlich etwas anderes gern gelernt hätte, so wie seine jüngeren Brüder Karl
und Otto, die bessere Berufe erlernen durften, oder seine kleine Schwester
Dora, die eine Verkäuferinnen-Lehre absolvierte. Aber gegen die Anordnung
seiner Eltern durfte nicht aufgemuckt werden. Er wurde allerdings später ein
sehr guter Maurer, baute später ganz allein sein eigenes Haus, das wo ich immer
noch drin wohne, und während seiner Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise
noch zwei andere in Dessau-Törten um diese Zeit finanziell überstehen zu
können.
Auch die Lehrzeit war kein
Zuckerschlecken, ein einziges Foto ist aus dieser Zeit erhalten, wo mein Opa
als 17jähriger an einer Schubkarre bei einem Abriss inmitten von
Arbeitskollegen steht, siehe eingescanntes Foto.
Auf die Lehrzeit folgte die
Zeit der „Waltz“ als junger Geselle, die ihn in alle möglichen Ecken
Deutschlands führte. Am besten hatte es ihm da in Sachsen gefallen, dort waren
die Menschen am freundlichsten, meinte er. Gar nicht gefiel es ihm in Bayern
oder in Norddeutschland.
Auf diese Zeit, an die Opa gern zurück schaute, da sie
eine Zeit der Freiheit war, folgte wieder preußischer Drill, diesmal beim
Militär bei der Ableistung des Wehrdienstes. Der Drill und die Klassengesellschaft
waren in des Kaisers Armee noch viel schlimmer als zu Nazizeiten. Während das
Offiziers-Korps ein fideles Leben führte, wurden die einfachen Soldaten bis
aufs Blut schikaniert, wie Opa mit Abscheu an die Soldatenausbildung zurück dachte. Dann kam der Krieg und Opa
mußte diesen von Anfang bis Ende mitmachen. Oft erzählte er mir als Kind die
Geschichten dieser Kämpfe, die tagelangen Märsche durch Frankreich, wo die
Franzosen die Brunnen vergiftet hatten und wo er einmal es vor Durst nicht
aushielt und einfach an einen Brunnen ging und dort trank, seine Kameraden ihn
festhalten wollten, da er des Todes sei, aber er großes Glück hatte, da er an
einen Brunnen geriet der nicht vergiftet war. Oder als er einen Munddurchschuß
hatte und das Schwein von Militärarzt ihn nicht krank schrieb, er aber
keinerlei Nahrung zu sich nehmen konnte und wo die deutschen Vorgesetzten dies
nicht im geringsten interessierte. Wie
jeder andere Soldat bekam er sein Kommissbrot und die normale andere
Verpflegung, die er aber nicht in den Mund bekam. Er wäre jämmerlich krepiert,
wäre er nicht heimlich zu französischen Bauern gegangen und hätte dort täglich
seine Ration gegen Milch und Eier eingetauscht. In die Milch quirlte er jeden
Tag ein, zwei Eier, riß die Wunde am Mund selbst auf und sog mit einem
Strohhalm die Flüssigkeit ein. Während das geschah saßen die kaiserlichen
Offiziere in guten Unterkünften, tranken Rotwein und aßen Fasanenbraten. Das
war die Realität im Krieg und offenbarte die moralische Verkommenheit der
Deutschen schon damals.
Von den Grausamkeiten dieses Krieges
hat mein Opa keine Fotos, von eben dieser Zeit mit seiner Mundverletzung oder
dem Dreck in den Schützengräben, den Gasangriffen, wo etliche seiner Kameraden
umkamen oder dem Krach der Detonationen die einen seiner Kameraden wahnsinnig
werden ließen, der in eine Irrenanstalt gebracht werden mußte, sondern es gibt
nur schmucke gestellte Fotos, wie die von mir eingescannten aus dem Jahre 1916,
zwei mein Opa allein und eines mit seinen
Brüdern Karl und Otto. Dies waren Fotos, die bei einem kurzen Fronturlaub
entstanden und auf die das Militär großen Wert legte um die Bevölkerung zu
verdummen, der wirkliche Schrecken des einfachen Soldatendaseins im Krieg
sollte durch derlei Fotos vertuscht werden (letztes SW-Foto vom bekannten
Dessauer Hoffotografen Hoffmann aufgenommen). Ein einziges Foto gibt es von der Front, siehe links unten, aber auch dies zeigt nicht die Realität des Krieges, sondern ist in ruhiger Zeit aufgenommen worden.
Ich selbst habe meinen Opa nur
so wie auf dem farbigen Foto Ende der 60er Jahre in Erinnerung, zusammen mit seiner
Frau, meiner Oma, vor der Haustür. Diese Haustür gibt es immer noch so wie auf
dem Foto. Sogar der kleine Sprung auf der Scheibe ist immer noch da. Erst im
Alter konnte er sich ein wenig entfalten, trotz Minirente lernte er noch
Klavierspielen, schaffte sich auch ein Klavier an. Und neben dem Tabakgenuß
seiner Pfeife, zeichnete er auch, spielte leidenschaftlich Schach und hörte gern
Radio (Er war auf dem Sandberg der erste Siedler der sich ein Radio
anschaffte, dazu gehörte damals noch einen großen Mast im Garten zu setzen).
Wenn heute behauptet
wird, daß früher die Zeiten besser waren, gar die Deutschen mehr
zusammen hielten, dann ist das eine Mär. Denn sowohl zu Kaisers Zeiten, der
Weimarer Republik, der Nazizeit und in der Zeit nach dem Kriege, sowohl in West
wie in Ost, waren die Deutschen kein Volk welches sich mehrheitlich durch
kameradschaftliche Tugenden auszeichnete. Eher war schon immer das Gegenteil der Fall.
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