Samstag, 23. Februar 2013

Opa Gustavs Leben: Von der Kaiserzeit bis zu DDR-Zeiten


Heute hätte mein Opa Gustav (Großvater mütterlicherseits) Geburtstag. Erst dieser Tage schrieb ich einen Blogbeitrag über ihn und seinen Lieblings-Tabak, siehe: http://barrynoa.blogspot.de/2013/02/opa-gustavs-tabak.html .


Am 23.2.1891 in Dessau geboren, siehe seinen Taufschein, wurde er in eine Zeit hinein geboren, wo er zwei Weltkriege erleben mußte, den I. Weltkrieg als aktiver Soldat an der Front, den II. Weltkrieg als Rüstungsarbeiter an der Heimatfront. Für viele Menschen war die Zeit um 1900 ein goldenes Zeitalter, aber nicht für meinen Großvater. 

Er wuchs in einem extrem strengen Elternhaus auf, wo statt Liebe der Siebenträhner (Klopfpeitsche mit 7 Lederriemen) herrschte. Großvater erzählte oft von seiner Kindheit, von seiner Jugendzeit und von seiner Zeit beim kaiserlichen Militär, so daß viele seiner Geschichten mir immer noch in Erinnerung sind. Grauenvoll für heutige Verhältnisse die preußische „Erziehung“ in der Kindheit. So war es üblich, daß die Frauen Mittagessen zuhause kochten und es ihren Männern in die Fabrik brachten. Anders bei meinem Opa. Dort lief es so ab, daß Gustavs Mutter zwar das Essen kochte, aber es statt in die weit entfernt gelegene Fabrik zu bringen, es zur Schule brachte, wo sie auf dem Schulhof stand und wartete, daß der kleine Gustav runter kommen würde um es dem Vater zu bringen (siehe: Foto der Essenträgerjungen aus dieser Zeit). 


Allerdings war an etlichen Tagen in der Woche oft zu dieser Zeit noch Schule und Gustav mußte sich aus der Schule stehlen, denn tat er dies nicht, so hätte es zuhause Dresche mit dem Siebensträhner gegeben. Prügel gab es aber auf jeden Fall, denn am nächsten Morgen in der Schule schlug der Kantor – „Kanter“ im anhaltischen genannt - erbarmungslos mit dem Rohrstock Gustav wegen des verfrühten Abhauens aus der Schule. Nach vollzogener Züchtigung mußte Gustav noch ein Dankgebet für die erhaltene Dresche sprechen. Dieser „fromme“ Kirchenmann und Lehrer in einer Person war der typische preußische Deutsche seiner Zeit und ein typischer Unpädagoge, denn statt mal die Mutter zu laden und der zu verbieten den Jungen zu drängen früher aus der Schule abzuhauen, kannte er nur das Schlagen ohne Sinn und Verstand. Dieses kindliche Martyrium war garantiert auch Auslöser von Opas späterer Abkehr von der Kirche, die eine Kirche der Unterdrückung einfacher Menschen war und voll auf der Seite der Ausbeuter stand oder selbst Unterdrücker war, dies bis 1945, denn sowohl in der Weimarer Zeit wie in der Nazizeit stand die anhaltische evangelische Kirche voll auf Seiten der Herrschenden.

Auch wenn eigentlich keine krasse Armut in der Familie Simolke herrschte, denn seine Mutter stammte aus der nicht gerade armen Binnenschifferfamilie Naumann und durch ihre Mitgift hatte sie ein Mietshaus in der Dessauer Törtener Straße bauen können, wo die Familie in einer Wohnung wohnte (Parterre) und die anderen Wohnungen vermietet waren, war dennoch spartanische Lebensweise angesagt, ein Leben in preußischer „Disziplin“, wo Wohlleben als undeutsch galt. Um sich mal ein wenig was leisten zu können, da mußte Gustav schon als unter 10jähriger Knabe sich als Kegeljunge verdingen, meistens bis Mitternacht in einer Kneipe mit Kegelbahn die Kegel aufstellen. Der Lohn betrug ganze 20 Pfennige und ein paar Limonaden den Abend. Für das Geld kaufte er sich am nächsten Tag dann beim Bäcker 2 Stück Käsekuchen, den er gern aß. Als er ein wenig älter war übernahm er auch das Wegbringen von Hunden zum Schlachthof, wo diese armen Tiere geschlachtet wurden. Auftraggeber war der städtische Hundefänger. Für diesen Weg mit Hunden, vor denen er oft große Angst hatte, bekam er 50 Pfennige, dies alles als Kind unter 14 Jahren. 

Mit 14 Jahren kam er in die Lehre, er lernte Maurer, obwohl er eigentlich etwas anderes gern gelernt hätte, so wie seine jüngeren Brüder Karl und Otto, die bessere Berufe erlernen durften, oder seine kleine Schwester Dora, die eine Verkäuferinnen-Lehre absolvierte. Aber gegen die Anordnung seiner Eltern durfte nicht aufgemuckt werden. Er wurde allerdings später ein sehr guter Maurer, baute später ganz allein sein eigenes Haus, das wo ich immer noch drin wohne, und während seiner Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise noch zwei andere in Dessau-Törten um diese Zeit finanziell überstehen zu können.


Auch die Lehrzeit war kein Zuckerschlecken, ein einziges Foto ist aus dieser Zeit erhalten, wo mein Opa als 17jähriger an einer Schubkarre bei einem Abriss inmitten von Arbeitskollegen steht, siehe eingescanntes Foto. 

Auf die Lehrzeit folgte die Zeit der „Waltz“ als junger Geselle, die ihn in alle möglichen Ecken Deutschlands führte. Am besten hatte es ihm da in Sachsen gefallen, dort waren die Menschen am freundlichsten, meinte er. Gar nicht gefiel es ihm in Bayern oder in Norddeutschland. 

Auf diese Zeit, an die Opa gern zurück schaute, da sie eine Zeit der Freiheit war, folgte wieder preußischer Drill, diesmal beim Militär bei der Ableistung des Wehrdienstes. Der Drill und die Klassengesellschaft waren in des Kaisers Armee noch viel schlimmer als zu Nazizeiten. Während das Offiziers-Korps ein fideles Leben führte, wurden die einfachen Soldaten bis aufs Blut schikaniert, wie Opa mit Abscheu an die  Soldatenausbildung zurück dachte. Dann kam der Krieg und Opa mußte diesen von Anfang bis Ende mitmachen. Oft erzählte er mir als Kind die Geschichten dieser Kämpfe, die tagelangen Märsche durch Frankreich, wo die Franzosen die Brunnen vergiftet hatten und wo er einmal es vor Durst nicht aushielt und einfach an einen Brunnen ging und dort trank, seine Kameraden ihn festhalten wollten, da er des Todes sei, aber er großes Glück hatte, da er an einen Brunnen geriet der nicht vergiftet war. Oder als er einen Munddurchschuß hatte und das Schwein von Militärarzt ihn nicht krank schrieb, er aber keinerlei Nahrung zu sich nehmen konnte und wo die deutschen Vorgesetzten dies nicht im geringsten interessierte.  Wie jeder andere Soldat bekam er sein Kommissbrot und die normale andere Verpflegung, die er aber nicht in den Mund bekam. Er wäre jämmerlich krepiert, wäre er nicht heimlich zu französischen Bauern gegangen und hätte dort täglich seine Ration gegen Milch und Eier eingetauscht. In die Milch quirlte er jeden Tag ein, zwei Eier, riß die Wunde am Mund selbst auf und sog mit einem Strohhalm die Flüssigkeit ein. Während das geschah saßen die kaiserlichen Offiziere in guten Unterkünften, tranken Rotwein und aßen Fasanenbraten. Das war die Realität im Krieg und offenbarte die moralische Verkommenheit der Deutschen schon damals.


Von den Grausamkeiten dieses Krieges hat mein Opa keine Fotos, von eben dieser Zeit mit seiner Mundverletzung oder dem Dreck in den Schützengräben, den Gasangriffen, wo etliche seiner Kameraden umkamen oder dem Krach der Detonationen die einen seiner Kameraden wahnsinnig werden ließen, der in eine Irrenanstalt gebracht werden mußte, sondern es gibt nur schmucke gestellte Fotos, wie die von mir eingescannten aus dem Jahre 1916, zwei mein Opa allein und eines mit seinen Brüdern Karl und Otto. Dies waren Fotos, die bei einem kurzen Fronturlaub entstanden und auf die das Militär großen Wert legte um die Bevölkerung zu verdummen, der wirkliche Schrecken des einfachen Soldatendaseins im Krieg sollte durch derlei Fotos vertuscht werden (letztes SW-Foto vom bekannten Dessauer Hoffotografen Hoffmann aufgenommen). Ein einziges Foto gibt es von der Front, siehe links unten, aber auch dies zeigt nicht die Realität des Krieges, sondern ist in ruhiger Zeit aufgenommen worden. 


Ich selbst habe meinen Opa nur so wie auf dem farbigen Foto Ende der 60er Jahre in Erinnerung, zusammen mit seiner Frau, meiner Oma, vor der Haustür. Diese Haustür gibt es immer noch so wie auf dem Foto. Sogar der kleine Sprung auf der Scheibe ist immer noch da. Erst im Alter konnte er sich ein wenig entfalten, trotz Minirente lernte er noch Klavierspielen, schaffte sich auch ein Klavier an. Und neben dem Tabakgenuß seiner Pfeife, zeichnete er auch, spielte leidenschaftlich Schach und hörte gern Radio (Er war auf dem Sandberg der erste Siedler der sich ein Radio anschaffte, dazu gehörte damals noch einen großen Mast im Garten zu setzen).

Seine Rente war gering, obwohl er sein Leben lang gearbeitet hatte, als gelernter Maurer, als Chemiearbeiter, als Dreher bei Junkers im II. Weltkrieg und zu DDR-Zeiten als Dreher in der Großen Halle des Waggonbaus Dessau. Politisch engagierte er sich nicht, zu Nazizeiten verbot er seinen Töchtern die Teilnahme im BDM und in der DDR-Zeit lehnte er alle gesellschaftliche Arbeit ab, da er das SED-System ablehnte. Dies bedeutete natürlich, daß ihm der berufliche Aufstieg verwehrt blieb und es sich dies dann auch in seiner Rentenhöhe bemerkbar machte. 
 
Wenn heute behauptet wird, daß früher die Zeiten besser waren, gar die Deutschen mehr zusammen hielten, dann ist das eine Mär. Denn sowohl zu Kaisers Zeiten, der Weimarer Republik, der Nazizeit und in der Zeit nach dem Kriege, sowohl in West wie in Ost, waren die Deutschen kein Volk welches sich mehrheitlich durch kameradschaftliche Tugenden auszeichnete. Eher war schon immer das Gegenteil der Fall.  

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