Mittwoch, 15. Oktober 2014

Postkarte um 1900 aus Lodz: Verharmlosung des Arbeiterelends

Vorderseite

Kennen Sie noch den Schlager „Theo, wir fahr´n nach Lodz“ von Vicky Leandros? Lodz ist die drittgrößte Stadt Polens und hat eine wechselvolle Geschichte. Bei der zweiten Teilung Polens, im Jahre 1793, wurde die Stadt ein Teil Preußens, damals wohnten allerdings nur knapp 200 (!) Menschen dort, also eigentlich ein Dorf. 1815 kam die Stadt zu Kongresspolen, welches dem russischen Zaren unterstand. Die Stadt entwickelte sich rasend, 1897 lebten schon 314.000 Menschen in Łódź, 40 % davon waren Deutsche. Die Stadt war bekannt für ihr Arbeiterelend, welches dort noch viel schlimmer war als in Westeuropa. Um 1900 schufteten 70.000 Arbeiter in rund 550 Fabriken für einen Hungerlohn unter entsetzlichen Umständen. Es gab keine Kanalisation in der Stadt, was sich auch auf die Kinder-und Säuglingssterblichkeit ausübte, die bei 70 % lag, was extrem über den Zahlen übriger europäischer Städte lag. So gut wie alle Arbeiter waren Analphabeten, bei der Lodzer Gesamtbevölkerung waren 80 % Analphabeten (im Vergleich: in Deutschland lag zur gleichen Zeit die Analphabetenrate bei unter 1 %, Frankreich: 10%, USA: 12%, England 9,6%).

Rückseite

Ich stelle heute eine Postkarte aus Lodz (aus meiner Sammlung) aus eben dieser Zeit vor, die einen Kohlenträger zeigt. Mit diesen Holzgestellen trugen Kohlenträger die länglichen Briketts in die Keller, nicht nur dort, sondern dies war auch in Deutschland so üblich und sogar heute noch gibt es in Berlin ein paar Kohlenträger, die genau mit so einer Trage die Briketts in Keller bringen. Die Postkarte mit russischer Marke und russischem Stempel zeigt auf der Vorderseite eine Beschriftung, sowohl in polnisch, wie auch in deutsch, was damals für Postkarten aus Lodz üblich war, wegen des großen Anteils an Deutschen.

Das Elend von arbeitenden Menschen wurde allerdings von den bourgeoisen Postkartenherstellern verharmlost und diskriminierend dargestellt, in dem z.B. hier der ärmliche Kohlenträger als „Lodzer Type“ bezeichnet wurde. Armut wurde schon damals von den bürgerlichen und adeligen Klassenfeinden als persönliches Unvermögen abgetan. Der Empfänger einer solchen Karte sollte kein Mitleid mit einem ausgebeuteten Arbeiter bekommen, sondern über ihn als asoziale Type schmunzeln. Daß so ein Kohlenträger 6 Tage in der Woche täglich 12 Stunden lang schuftete und für den Lohn dieser Knochenarbeit dennoch hungern mußte, dies sollte so eine Karte nicht zeigen.

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