Dienstag, 4. November 2014

Von verloren gegangener Eßkultur, Birnen, Obsttellern und dem legendären Birnbaum des Herrn von Ribbeck

Schätzt man in der heutigen Zeit überhaupt noch unsere heimischen Früchte, wie z.B. Birnen? Ich vermute, nein!

In den 50er und 60er Jahren waren gerade Birnen für Kinder eine Köstlichkeit, die man ehrte, waren sie doch oft die einzigste Süßigkeit an manchen Tagen, denn wie heute, wo die Kinder jeden Tag Naschzeug verzehren, das gab es nicht. Schokolade und andere Süßigkeiten gab es nur selten und dann zu besonderen Anläßen. Ausnahme war der Kuchen, der von der Mutter am Vortag gebacken wurde und dann am Sonntag auf den Tisch kam.

Wenn heute die Mehrzahl der Menschen eine Birne mal so nebenbei essen, oft auf die Hand genommen und nebenbei noch Zeitung gelesen, so kenne ich das anders. Am Abend ging man mit einem Körbchen in den Keller wo das Obst lagerte und suchte sich entweder eine Birne oder einen Apfel aus. Je nachdem was es war, nahm man den dazugehörigen Obstteller und ein Obstmesser und speiste so eine Birne oder einen Apfel genüßlich, vorher in ein paar Spalten geschnitten. Das kennt man kaum noch heutzutage, jedenfalls stellte ich das gestern fest, als ich Gästen Obst anbot. Die, halb so alt wie ich, waren sehr erstaunt, daß ich wegen ein paar Äpfeln und ein paar Birnen so eine Zeremonie machte. Auch kannten sie weder Obstteller - ohne die ich nie Obst esse - noch Obstmesser.



Die beiden echten Birnen werde ich mir nach dem fotografieren munden lassen. Die weiteren Früchte sind ja leider nur auf dem Dekor! lol

Für alle jungen Leute unter meinen Lesern, die nicht wissen, wovon ich schreibe, habe ich mal eines unserer diversen Obstteller-Ensembles fotografiert. Es stammt aus der Zeit um 1900 und ist nicht sehr wertvoll, auch wenn es so aussieht, ist also für den täglichen Gebrauch geeignet. Die teuren Obstteller, mit Handmalerei und aus gutem alten handbemaltem KPM-Porzellan, nehme ich allerdings nicht für den Alltag, die sind für besondere Anlässe gedacht. Man muß nicht reich sein um Eßkultur zu pflegen, denn es gibt auch moderne preiswerte Porzellansachen, aber es ist schade, daß diese Eßkultur immer mehr den Bach herunter geht.

Wenn ich eine Birne esse, dann fällt mir oft das Gedicht um den Birnbaum des Freiherrn von Ribbeck ein, welches ich als Kind mit Begeisterung auswendig lernte und im Familienkreis aufsagte. Ich fand dieses Gedicht schon damals wunderbar und heute noch mehr, zeigt es doch u.a. in ganz besonders anrührender Weise die damalige Wertschätzung der Birne in der Zeit vor 1900 auf. Das Gedicht ist zwar im brandenburgischen Lande verwurzelt, aber unser Anhaltland hat eine ganz ähnliche Kultur, auch hier gehört die Birne zur anhaltischen Heimat, fast wie die Auenlandschaft und der „Bär auf Mauer“, siehe auch meinen Blogbeitrag über das anhaltische Gericht „Birnenklump: http://barrynoa.blogspot.de/2014/08/altes-anhaltisches-gericht-birnenklump.html





Hier das Gedicht von Theodor Fontane (1819-1889):


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«


So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«


So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.


Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«


So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.



Erst vor ein paar Jahren erfuhr ich, daß es schon vor dem Erscheinen des Gedichtes von Theodor Fontane es Gedichte über den Birnbaum des Herrn von Ribbeck gab, und, daß es sich, wie Hertha von Witzleben schrieb, um eine alte Sage handelte. „Da ward in meiner Seele die alte Sage wach!“, heißt es, und dieses Gefühl beschlich mich schon als Kind, als ich mit dieser großen Begeisterung, ja geradezu Inbrunst, dieses Gedicht vortrug, daß es sich um etwas ganz altes handeln müsse, dem man sich aber als der Heimat verbundene und verwurzelte Menschen aus unserer Gegend, die der des Havellandes so eng verbunden ist, trotzdem so nahe fühlt.
 
Ein ähnliches Gefühl beschlich mich als Kind immer, als meine Mutter mir das Lied vom Lindenbaum des Dessauers Wilhelm Müller (1794-1827) aus dem Jahre 1822 vorsang und auf ihrer Zither spielte: "Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindenbaum".


Das erste Birnbaumgedicht aus dem Jahre 1875 von Hertha von Witzleben, Enkelin des Karl Friedrich Ernst von Ribbeck. Sie schrieb dieses Gedicht bevor Fontane sein Gedicht im Jahre 1889 veröffentlichte

Zu Ribbeck an der Kirche ein alter Birnbaum steht,
der mit den üpp'gen Zweigen der Kirche Dach umweht.
Von hohem Alter zeuget der Stamm, so mächtig stark,
wächst schier aus dem Gemäuer wie aus der Kirche Mark.

Von diesem alten Birnbaum geht eine Sage hier,
sie war als Kind zu hören stets eine Wonne mir:
Ein alter Ribbeck, heißt es, war Kindern hold gesinnt,
wohl hundertmal beschenkt er im Dorfe jedes Kind.

In allen Kleidertaschen er Birnen, Äpfel hat,
gab stets mit beiden Händen, gab gern, genug und satt.
Und als er kam zu sterben, man in den Sarg ihn legt,
denkt nicht an seine Taschen, darin er Birnen trägt.

Und in dem nächsten Frühjahr wächst aus der Wand am Tor,
sproßt aus dem Erbbegräbnis ein Bäumlein grün hervor.
Der Alte, der im Leben die Kinder so geliebt,
nun noch in seinem Sarge den Kindern Freude gibt

Im Herbst viel kleine Birnen der Baum streut auf den Sand,
und heut noch greift mit Jubel danach der Kinder Hand.
Die Abendschatten sanken hernieder allgemach,
da ward in meiner Seele die alte Sage wach.


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