Ein bedeutender anhaltischer Mundartforscher war Professor Alfred Wirth. Heute im Blog drei seiner Schriften die er zu diesem Thema verfaßte: „Dorfheimat“ aus dem Jahre 1928, „Der Mensch im Anhalter Volksmund“ von 1951 und „Neue Beiträge zur anhaltischen Volkskunde“ von 1956. Im „Dessauer Kulturspiegel“ von 1955, Heft 3, hat er eine kurze Zusammenfassung des Wesens der anhaltischen Mundart gegeben, die lesenswert ist, siehe:
Unser Anhaltland ist bis etwa 600 n.d.Z. von Germanen bewohnt gewesen. Als die Thüringer das Land rechts der Saale geräumt hatten, drangen slawische Stämme in den leeren Räumen nach. Sie waren zu Beginn des 7. Jahrhunderts bereits in ziemlicher Menge hier ansässig und versuchten, sich über der Saale nach Westen auszudehnen. Der Rückstoß begann unter Heinrich I., dem Städtegründer.
Er sicherte die Grenzen durch die Ansiedlung reisiger Dienstmannen in Burgwarten. So im Gau Nalatzi zwischen Saale, Fuhne, unterer Elster, im Gau Serimunt zwischen Saale, Elbe, Mulde und Fuhne und im Gau Nisititsi zwischen Mulde, Elbe, Schwarzer Elster. Otto I. legte Marken an. Die Rückgewinnung wurde wesentlich gefördert durch die Klöster in Gernrode und Nienburg.
Vielfach wurden Edle oder ihre Dienstmannen mit Sorbenland belehnt; so entstanden die zahlreichen Sattelhöfe (Sattel = Sedel = Sitz). In der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts, etwa um 1075, ist nicht mehr die Saale in ihrem Unterlauf die Grenze zwischen Deutschland und Slawen, sondern die Elbe in ihrem Mittellauf. Die hier wohnenden Slawen waren meist Sorben, später kurzweg Wenden genannt.
Seit dem 12. Jahrhundert kamen deutsche Bauern in das Land. Neben den alten slawischen entstanden deutsche Dörfern, die sich in unserer Gegend durch die Vorsilbe Groß- von den als Klein- oder Alt- bezeichneten wendischen unterschieden. Thüringer, Nordschwaben, Sachsen stellten die Masse der Kolonisten. Albrecht der Bär holte auch Flamländer, d. h. Niederfranken heran, die sich hauptsächlich im Kreis Zerbst bis zum Fläming und im Wörlitzer Winkel zwischen Mulde und Elbe, aber auch weiter südlich niederließen.
Die wendische Bevölkerung wanderte nach Osten und vermischte sich allmählich mit den deutschen Kolonisten. Unter den Dorfformen finden wir häufig das Straßendorf, das Dorf der Kolonisten, und den Rundling, besonders gut in Storkau, Luso, Rietzmeck erhalten, bei dem die nach außen gekehrten Wirtschaftsgebäude und Gärten sowie die einzige Zugangsstraße den Charakter der Schutz- und Verteidigungsanlagen zeigen. 1293 wurde das Deutsche die alleinige Gerichtssprache.
Das Wendische hat sich gleichwohl noch lange erhalten. Noch im 19. Jahrhundert wurden Landsleute von rechts der Elbe, die zum Barbyer Markt kamen, Pomeiböcke genannt, ein Name, der aus ihrem Gruß Pomei = Hilf Gott abgeleitet ist. Worte aus slawischem Ursprung, die allerdings zum größten Teil nur in der Sprache des Volkes gebraucht werden, dürften die folgenden sein: Bemme oder Bumme, Plinsen, Quark, Kietz = Haus, Halunke, Knute, Plautze. pietschen, Peitsche, Moch = Moos, Pomäle = bequem und andere mehr. Die Ortsnamen auf o, ow, owitz, nitz, igk weisen ebenfalls auf slawischen Ursprung.
Das Niederdeutsche, das wir in der Mundart Platt nennen, war einst in unserem Lande die Volkssprache. Es reichte von der Südgrenze des Anhalter Harzes bis zur Saale bei Halle und umfaßte auch die Grafschaft Mansfeld und die Gegend von Merseburg. Eike von Repkow, der große Sohn unseres Landes schrieb seinen Sachsenspiegel, das älteste deutsche Rechtsbuch, in der ihm geläufigen, sehr stark mit niederdeutsch gefärbten Mundart. Aber allmählich drang das mitteldeutsche von Süden her vor, und zwar in unserem Land das Obersächsische, zunächst in der Kanzleisprache, dann aber auch in der Mundart.
Das Niederdeutsche ging nach Norden zurück, der Umlauf der Saale und die Elbe bildeten lange die Grenze. Heute läuft die Sprachgrenze schon nördlich der Elbe durch den Zerbster Kreis, und man hört Klagen, daß die Jugend sich des Platts entwöhnt und nur noch die Alten das von den Vätern ererbte Gut sprechen.
Ja, auch die Mundart ist im Rückgang vor dem Hochdeutschen, obwohl Hermann Wäschke in seinen Paschlewwer Geschichten und auch einige Dessauer, wie Richter, Wittig und Krause, beweisen, daß sie sehr wohl literarisch verwertet werden kann. Eine einheitliche Mundart haben wir in Anhalt nicht. Hier scheiden sich mitteldeutsch und niederdeutsch, die alte Kolonisationsgrenze zwischen West und Ost und auch die alten Verkehrsstraßen Magdeburg – Bernburg – Leipzig und West – Ost Harz – Bernburg – Dessau – Wittenberg. Im Hauptteil des Landes zwischen Saale und Elbe herrscht das Obersächsische.
Im nördlichen Teil des Kreises Zerbst und in der Nordwestspitze des Kreises Bernburg sowie im flachen Harzvorland des Kreises Ballenstedt das niederdeutsche, im gebirgigen Teil des Kreises Bernburg ist der Mansfelder Dialekt eingedrungen, selber eine Mischung von Nordthüringisch und Obersächsisch. Unsere Mundart ist also das Mitteldeutsche, mit einigen Resten slawischen und flämischen Ursprungs.
Zu diesem letzteren gehören etwa Worte wie Moll = Maulwurf, kiesäte = wählerisch, schleech full = gestrichen voll, Kanten = Endstück beim Brot, Mire = Ameise, Polauke = Regenmade, leech = niedrig, Bäseken = Heidelbeeren, musicke = edelfaul. Sehr viele Worte sind niederdeutsch oder aus dem Niederdeutschen umwandelt, wie anken = sich sehnen, Appel, blaken, Bräm, Damp, heesch, Kettel, Klump, Napper, Schneppe, trecken, Topp usw. Wie andere Mundarten zeichnet sich auch die unsere durch eine erstaunliche Fülle des Ausdrucks aus.
Ein Beispiel genüge für viele. Wer gern trinkt, der macht ein Prösterchen, pilpert, bläst, pichelt, pietscht, nimmt eenen, nimmt gern an Wupptich; hat er sich betrunken, dann hat er eenen genehmigt, gekippt, genommen, hinter die Binde gegossen, gepfiffen, an Wupptich genommen, eenen uffjehuckt, er hat geladen, schief geladen, eenen sitzen.
Er ist dann angesäuselt, beduselt, hat sich stark angefeuchtet, in Spiritus gesetzt, hat zu tief in de Pulle geguckt, ewwern Dorscht getrunken, ist benebelt, selig, satt, fett, knille. Er hat an kleenen Spitz, an Affen, an Käwer, an Schtich, an Hieb, er hat jenunk. Er ist im Dampe, full, schtockschternhagelbesoffen, besoffen wie anne Schtrippe, Radehacke, an Schtint.
Die Bildhaftigkeit des Ausdrucks zeigt sich in Vergleichen, die den Menschen des Volkes aus der Umwelt zur Verfügung stehen, so etwa: er ist dicke wie anne Pauke, dorre wie ne Zicke, dumm wie Bohnenstroh, jeputzt wie an Finestochse (Erinnerung an den alten, bei uns geschwundenen Brauch, zu Pfingsten einen geschmückten Ochsen durch das Dorf zu führen und dann zu schlachten), flink wie an Wiesel, fleißig wie ne Biene, arm wie ne Kirchenmaus, naß wie anne jebadete Katze, krumm wie anne Neine, schlank wie anne Tanne, jewachsen wie anne Tanne, jewachsen wie en Eechboom.
Er redet wie an Afkate (Advokat), leeft wie an Barschtenbinger, friert wie an Schneider, ißt wie an Scheinen- oder Hofdrescher, arbeet wie an Färd, bellt wie an Leewe, heilt wie an Schloßhund usw. Beliebt ist auch die Verdeutlichung von Eigenschaftswörtern durch Hauptwörter, z. B. käse-, kreide-, schneeweiß, leichenblaß, raben-kohlen-pechschwarz, krebs-puter-kirsch-rasenrot, zentnerschwer, federleicht, butterweich, blitzblank usw.
Unsere Volkssprache steckt voller Humor, der Nächste wird nicht verschont. Ob es nun körperliche oder geistige Mängel oder Auffälligkeiten sind, das Volk beobachtet und urteilt scharf und erbarmungslos wie die Kinder. Und doch zeigt die Wahl des Ausdrucks nur selten eine verletzende Schärfe. Meist steckt in ihm ein zwar robuster, aber doch versöhnender Humor. Hören wir, was die Volkssprache von Nase, Mund und Ohr zu sagen weiß. Der Mensch mit einer großen Nase ist Nasenkönig, er hat zweimal „hier“ gerufen, als es Nasen gab. Die kleine Nase ist Stups-, Fips- oder Pfutznase, die breite ist die Gurke, Kartoffelnase oder Lötkolben, die nach oben gebogene ist Himmelfahrtsnase oder Regenfänger. Die rote Nase heißt Glühwürmchen oder Glühkolben, Glühstrumpf, Erdbeere, Kupperbargwerk, Schlapp- oder Eselsohren, abstehende sind Lappohren. Der breite Mund reicht von einem Ohr zum anderen. Die Ohren eines solchen Menschen erhalten Besuch, wenn dieser lacht. So findet der Volksmund witzige, manchmal grobe, meißt aber treffende Ausdrücke für charakteristische Schwächen des Menschen, ob er nun langsam denkt, langweilig spricht, gern von sich oder über andere redet, leicht erregt oder oft mürrisch ist, fröhlich, leichtsinnig oder unzuverlässig, neidisch oder unordentlich ist. Die Volksmundart ist treffsicher, lebensnah, bilderreich und wirkt wie ein frischer Quell. Sie sollte darum nicht verachtet, sondern geachtet werden und auch in der Schule wieder zu ihrem Rechte kommen. Ein Gemisch von Hochdeutsch und Mundart taugt nichts, entweder Hochdeutsch oder Mundart. Da wir aber die Mundart als köstliches, naturnahes Gut besitzen, wollen wir sie hüten und gebrauchen.
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