Sonntag, 24. März 2013

1920er Jahre: „Urania – Monatshefte für Naturerkenntnis und Gesellschaftslehre“ - Teil 3

Über den Dichter Erich Mühsam (1878-1934) schrieb schon 1924 in der „Urania“ der große Denker Walter Steinbach (Leipzig) einen Beitrag der aufhorchen läßt, denn Steinbach hat schon damals die gesamtgesellschaftlichen Dimensionen erfaßt welche die kleinbürgerliche Gesellschaft der Weimarer Republik nicht wahrhaben wollte, was dann unweigerlich in den Nationalsozialismus führen mußte.

Wie schon in dem Artikel über Ernst Toller, siehe: http://barrynoa.blogspot.de/2013/03/1920er-jahre-urania-monatshefte-fur_17.html, schreibt Steinbach über Erich Mühsam, daß dieser aufrechte fortschrittliche Dichter, gleich Toller, von den reaktionären Schergen der Weimarer Republik verfolgt wurde, einer Republik die damals von der SPD regiert wurde, einer SPD die aber volksfeindlich und fortschrittsfeindlich war, siehe z.B. der Skandal, daß der SPD-Polizeipräsident Noske auf Arbeiter schießen ließ. Auch in diesem Artikel Steinbachs über das Schicksal Mühsams bewahrheitete sich die spätere These vom sozialfaschistischen Charakter der damaligen SPD und der Weimarer Republik.

15 Jahre Festungshaft erhielt Erich Mühsam in der Weimarer Republik für seine Beteiligung an der Münchner Räterepublik, wovon er 5 Jahre absitzen mußte. Nur weil es eine Amnestie gab, wurde er nach 5 Jahren entlassen. Hitler dagegen bekam für seinen mißglückten Putsch, der die Weimarer Republik abschaffen sollte, nur 5 Jahre Festungshaft und er mußte diese nur 9 Monate absitzen, dies obwohl Hitler  schon 1922 wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war und seine Bewährungsfrist noch lief. Es war nach damaligen Gesetzen widerrechtlich, daß er so milde verurteilt wurde, trotz laufender Bewährungszeit. All diese geschah in der Regierungszeit der SPD. Nach 1933 war das Geschrei der SPD groß als sie verboten wurde und ihre Mitglieder Repressalien erlitten, daß sie aber durch ihre reaktionäre Politik erst die Voraussetzungen schuf, daß eine Nazi-Diktatur errichtet werden konnte, das ignorierte man. Die SPD sägte durch ihre sozialfaschistische Politik den Ast ab, auf dem sie selber saß. Wieviel Leid wäre der Welt erspart geblieben wenn die damalige SPD einen anderen politischen Kurs gefahren hätte, statt z.B. Toller und Mühsam einzusperren, scharf gegen die Reaktionäre vorgegangen wäre.

Erich Mühsam wurde am 28. Februar 1933 durch die Nazis verhaftet und am 10. Juli 1934 nach monatelanger Quälerei von der SS im KZ Oranienburg ermordet. Was für ein friedfertiger Mensch Erich Mühsam war, dies beschrieb sogar der Dichter Ernst Jünger in seinem Tagebuch, in einem Eintrag aus dem Jahre 1943. Ernst Jünger der auf der politischen Gegenseite stand: „Er (Mühsam) war einer der besten und gutmütigsten Menschen, denen ich begegnet bin.

Walter Steinbach schrieb schon 1924, siehe ganzen Text unten eingescannt:
„Auch an Erich Mühsam hat sich der Fluch der Zeit erfüllt, die ihre Überwinder und Umgestalter als Scharlatane und Verräter abtut. Das Deutschland der Monarchie verwarf und übersah ihn; im Deutschland der Republik konnte er auf 15 Jahre eingekerkert werden.“
 
Auf der zweiten Seite des lesenswerten Urania-Textes sind noch ein paar der Gedichte Mühsams zu lesen. Ich vermisse da das Gedicht vom Lampenputzer, gewidmet der deutschen Sozialdemokratie. Heute würde es zutreffen auf die Piratenpartei, wo sich ein Großteil der führenden Piraten als Anarchisten bezeichnet, siehe z.B. die Dessauerin Sandra Tiedtke, Spitzenkandidatin der sachsen-anhaltischen Piraten zur Bundestagswahl, die aber rein gar nichts mit Anarchismus zutun haben, da sie selbst Büttel des Staates sind, so als Angestellte im öffentlichen Dienst oder Beamte und da peinlich darauf achten diesen ihren einträglichen Job ja nicht zu verlieren. Diese Piraten betreiben einen großen Etikettenschwindel wenn sie sich als Anarchisten verorten.

Armin von Bodenhausen an Frau Tiedtke:

"In Ihrer politischen Haltung verorten Sie sich zu 64 % als Anarchistin, siehe Ihr Diagramm. Meinen Sie nicht auch, dass dies insofern unglaubwürdig ist, da Sie, wie Sie schrieben, erst prüften ob ein Parteieintritt zu den Piraten der Loyalität gegenüber Ihrem Arbeitgeber keinen Abbruch tun würde? Wissen Sie überhaupt was Anarchismus ist, oder sind Ihnen derartige politische Strömungen überhaupt nicht bekannt, nach denen Sie sich politisch aber selbst zuordnen? Als Angestellte oder Beamtin in einer Stadtverwaltung haben Sie tatsächlich auf Loyalität gegenüber Ihrem Arbeitgeber zu achten, Anarchismus ist aber nun das genaue Gegenteil davon. Einmal den Staat mit seinen Institutionen stützen, sogar durch eine berufliche Einbindung in denselben und auf der anderen Seite diesen Staat mit seinen Institutionen bekämpfen zu wollen, dies schließt sich gegenseitig aus. Meinen Sie nicht, daß Sie diese anarchistische Bezeichnung nur benutzen um bei der oppositionellen Bevölkerung besser anzukommen, die in den Piraten eine Alternative zu bisherigen staatlichen Strukturen sehen, um Wählerstimmen im antibürgerlichen Bereich zu generieren?"

Erich Mühsam:

Der Revoluzzer

(gewidmet der deutschen Sozialdemokratie)

War einmal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit. Und er schrie: "Ich revolüzze!"
Und die Revoluzzermütze

schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor. Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus.
zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
schrie: "Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn' das Licht ausdrehn,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt! -
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!"

Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
 
 

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