Mittwoch, 22. Juli 2020

Das harte und dennoch kulturvolle Arbeiterleben meines Opa Gustav

Dieser Tage hatte mein Nachbar Handwerker am Haus, Gerüstbauer und Maler. Was mir sehr auffiel, daß diese Arbeiter die ganze Zeit laut und braschig sich unterhielten, ja geradezu brüllten, und bei jedem Arbeitsschritt lautes Palaver veranstalteten, dabei dumme Witze. Auch deren sonstige Grobschlächtigkeit fiel mir auf. So lobte zwar einer der Arbeiter meine Hühner, daß die so gut aussähen - so gut würden seine Hühner nicht beisammen sein (Wie auch, wenn er sie in eine Voliere sperrt!) - besonders die eine wäre doch gut zu schlachten. Hühnerfrikassee würde doch so gut schmecken. Daß ich meine Hühner niemals schlachten würde, wie ich ihm sagte, darüber verwunderte er sich sehr. 

Lautes Palavern kenne ich nicht von meinem Großvater mütterlicherseits und der war auch Arbeiter, Maurer. Über sein hartes Leben hatte ich schon einen längeren Blogbeitrag geschrieben, siehe hier:

http://barrynoa.blogspot.com/2013/02/opa-gustavs-leben-von-der-kaiserzeit.html

Opa war kein gewolltes und schon gar kein geliebtes Kind, obwohl schon das zweite Kind seiner Eltern. Als seine Mutter ungewollt schwanger wurde (mit seiner großen Schwester), da tobte ihr Vater, der sich einen reichen Schwiegersohn vorgestellt hatte und keinen einfachen Arbeiter, war er doch ein reicher Binnenschiffer mit eigenem großem Lastzug auf der Saale und ausgerechnet ein mittelloser Helfer auf seinem Schiff hatte seine Tochter Dorothea Naumann geschwängert. Er schmiß beide vom Schiff, hatte er doch für seine Tochter den Sohn eines Binnenschiff-Besitzers auserkoren. Was er allerdings machte, er schenkte dem jungen Ehepaar ein Dreifamilienhaus als vorgezogenes Erbteil in Dessau (Törtener Straße), wo sie in die untere Etage einziehen konnten und die beiden oberen Etagen vermieten konnten. Damit wohnten sie mietfrei und hatten Mieteinnahmen. Zur Hochzeit kam er nicht und mit der Schenkung des Hauses brach er auch den Kontakt völlig ab, zu sehr ärgerte es ihn, daß seine Tochter einen armen Arbeiter genommen hatte. 

Nicht ein einziges mal lud dieser Opa meines Opas seinen Enkel zu sich aufs Schiff ein. Mein Opa hatte keinen Opa, da dieser mit seiner Tochter und deren Kindern nie wieder gut wurde. Es war ein armseliges Leben, was mein Opa als Kind und Jugendlicher führen mußte und dies obwohl er einen recht vermögenden Opa hatte, denn damals waren die Besitzer von Binnenschiffen recht vermögend, da sie gutes Geld verdienten. 

Obwohl er gern eine weiterführende Schule besucht hätte, bestimmten seine Eltern, daß er Maurer zu werden hätte, um später Reparaturen am Haus unentgeltlich machen zu können. 3 1/2 Jahre dauerte die Lehre und Geld gab es keines für die Ausbeutung von 12 Stunden am Tag, sondern es mußte sogar noch Lehrgeld an den Lehrherren bezahlt werden, eine harte gnadenlose Zeit, die Kaiserzeit! 

Der junge Mann an der Schubkarre, mein Opa Gustav. als Lehrling im Jahre 1905

Auch liebte mein Opa dummes Gequatsche, was Arbeiter heutzutage noch immer an sich haben, überhaupt nicht. Er arbeitete immer still und konzentriert und am liebsten allein (Habe ich wahrscheinlich von ihm geerbt!). So baute er das Haus, in dem ich heute wohne, fast ganz allein. Arbeitergesellschaft mied er (So wie ich!). Wenn seine Kollegen nach Arbeitsschluß noch in die Kneipe gingen, machte er nicht mit, war lieber in seinem geliebten Garten aktiv. spielte Klavier, was er sich selbst beigebracht hatte und saß Pfeife schmauchend an seinem Radio, wo er keine Nachrichtensendung verpaßte. 

Er hatte das erste Radio auf dem Sandberg, eine aufwendige Sache in den 20er Jahren, die einen großen Mast als Antenne im Garten verlangte. Und dann malte und zeichnete er (Habe ich auch von ihm geerbt?), worüber seine Arbeitskollegen nur mit dem Kopf schüttelten. Obwohl Geld immer knapp war, kaufte er ein gutes großformatiges Bild einer angesehenen Malerin. welches ich immer noch habe, siehe hier:




Das großformatige Oelbild von Luise Thiersch 

Luise Thiersch, geborene Patzki, war in den 30er Jahren eine anerkannte Malerin, davon künden Ausstellungen von 1936 und 1939. Am 3.3.1870 in Hayman geboren, verstarb sie am 2.1.1937 in Leipzig. Das Bild zeigt eine Meereslandschaft, fast nur in blauen Farben gehalten, es heißt "Vor der englischen Küste". Trotz der Kargheit des dargestellten, eigentlich nur das Meer und der Himmel, die Felsen der Insel, ein verloren wirkendes Schiff und eine einsame Möve, ist es ein interessantes Bild, welches angenehm wirkt und meisterlich gemalt ist und welches trotz der großen Abmaße keineswegs ein "Schinken" ist, welches oft bei sehr großen Bildern der Fall ist.

Auch über Bilder von guten Malern konnten die kulturfernen Arbeitskollegen von Opa nur mit dem Kopf schütteln, für die Kitschbilder, wie der „Röhrende Hirsch“ als einfacher Druck, Kunst waren und die sich damit ihr Heim schmückten. 

Wenn ich also Proleten nicht mag, mit ihrer primitiven Art, ihrer Großschnäuzigkeit und ihrer kulturfernen Spießigkeit, da habe ich auf keinen Fall meinen Großvater im Sinn, der, hätte er die Möglichkeit gehabt, auch gut und gern eine akademische Laufbahn einschlagen können, bei seinem Intellekt. Gern führte ich als Kind interessante Gespräche mit ihm über Politik und Kunst. Mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte mein Großvater sich aus den Niederungen des Proletarierlebens heraus zu entwickeln. 

In der DDR versuchten wir Kulturleute ja die Arbeiter zu allseits gebildeten Werktätigen zu bringen. Sie hatten alle Möglichkeiten, aber es widerstrebte ihnen, zu sehr waren sie ihrem primitiven Proletentum verhaftet. Statt Kunst liebten sie Kitsch, statt guter Musik liebten sie schmalzige Schlager, statt Kunstausstellungen zu besuchen, gingen sie lieber in Kneipen um dort Schnaps und Bier zu trinken, wollten primitiv bleiben, das war ihr Milieu. So gesehen war unser Bemühen als Kulturleute sie zu allseits gebildeten kulturvollen Menschen zu erziehen, als gescheitert anzusehen. 

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