Während Elsnigks Bevölkerung nicht organisch gewachsen ist und die Bungalow-Besitzer des Schachtsees keinerlei anhaltische Traditionen mehr kennen, ja schon zu DDR-Zeiten zu einer anderen Spezies gehörten als die freundlichen alteingesessenen anhaltischen Dörfler, ist es mit Scheuder anders. Scheuder ist einer der wenigen Orte wo man noch heute alte anhaltische Lebensweise spüren kann, und dies ist mir sehr sympathisch. Wo gibt es das noch, daß die alte anhaltische Fahne des Herzogtums Anhalt an einem Haus weht und wo kittelbeschürzte alte Frauen den Dorfbesucher freundlich begrüßen? Diese anhaltischen Dorffrauen von Scheuder, die ich bei der Kirche traf und mit denen ich nett plauderte, die erinnerten mich an alte Zeiten, sogar an Zeiten die ich selbst gar nicht mehr erlebt habe, die ich nur aus Geschichten kenne. In Scheuder ist die Kirche noch der geistige und weltliche Mittelpunkt des Dorfes. Diese wundervolle alte romanische Feldsteinkirche gefällt mir außerordentlich, nicht nur weil ich romanische Kirchen wertschätze, weil diese noch nicht protzig und dekadent sich über die Menschen erheben, sondern weil sie bodenständig ist und sie nicht nur die Verbindung mit der Antike und damit zum Urchristentum auch architektonisch ausdrückt, sondern auch weil sie uranhaltisch anmutet.
An altes Liedgut denkt man unwillkürlich wenn man die alte Linde bei der Kirche und dem Friedhof sieht, die - man staune - aus dem Jahre 1650 stammt! Diese Linde heißt „Friedenslinde“, sie wurde zu Ehren des Friedens nach dem grauenvollen 30jährigen Krieg (1618-1648) im Jahre 1650 in Scheuder gepflanzt und steht noch immer in edler Baumschönheit da. Wenn ich diesen edlen Lindenbaum sehe, dann kommt mir unwillkürlich das schöne Lied „Am Brunnen vor dem Tore“ des Dessauer Dichters Wilhelm Müller (1794-1827) in den Sinn, welches zu meinen Lieblingsliedern zählt:
Am Brunnen vor dem Tore,
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
so manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh!
Die kalten Winde bliesen
Mir grad in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
entfernt von jenem Ort,
Und immer hör ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort.
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