Sonntag, 26. Mai 2013

Krücke der Kunst: Beflügelte Erotik



"Allegorie des Frühlings" heißt das obige Bild eines mir unbekannten Malers, ca. um 1900 entstanden. Unter einem blühenden Baum, an einen Felsen gelehnt, rekelt sich auf einer Frühlingswiese mit wenigen Blumen, z.B. einer Schwertlilie, aber desto mehr Vögeln, eine nackte Schöne, die Strahlen der Sonne genießend. Daß die Dame Frühlingsgefühle hat, teilt der Maler in ihrer erotischen Haltung mit. Ein jugendlicher nackter Dudelsackpfeifer pfeift ihr auf seinem Dudelsack (zweideutig!) wahrscheinlich ein Liebeslied. Hätte der Maler diesem Knaben nicht Flügel angemalt und ihn damit als Götterbote gekennzeichnet, wäre das Motiv des Amors mit einem großen Dudelsack statt des obligatorischen Pfeiles als zu pornografisch dem damaligen wie auch dem heutigen Kunstpublikum erschienen und das Bild wäre aus der Öffentlichkeit verbannt worden, hätte höchstens im Salon eines freigeistigen Kunstsammlers gehangen. So aber konnte der Künstler behaupten, daß er ja "nur" die Göttin Venus gemalt habe und nicht etwa eine Dame der damaligen Gegenwart in unschicklichen Frühlingsgefühlen darstellen wollte. Und zum "Beweise" konnte er auf die Flügel des Knaben verweisen, also daß es Götterbote Amor sei.

Nacktheit mit Flügeln war in der Kunst schon immer salonfähiger als ohne Flügel. Wollten die Künstler der Vergangenheit Nacktheit auf die Leinwand bannen oder diese in Stein hauen, so mußten sie sich der Krücke der Religion bedienen und sei es auch nur die der alten Götterwelt der heidnischen Antike, ein Resultat der Allmacht der Kirche, die bis in unsere Zeit hinein die Moralvorstellungen der Menschen in ihrem Sinne bestimmt, früher mit Gewalt, wie der Inquisition, heute durch subtilere Methoden, die aber dennoch oft genauso wirksam sind und die auch bis in breite atheistische Gesellschaften hinein wirken, ohne daß sich Atheisten dessen bewußt werden.

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