Mittwoch, 4. Februar 2009

Deutsch-sowjetische Brieffreundschaft




Meine Sympathie für das russische Volk (nicht für deren Herrscher von Chruschtschow bis Putin und den Cliquen an der Macht) begann ganz unspektakulär und zwar ziemlich zwangsweise. Ich war nie ein guter Schüler, ja zeitlebens haßte ich geradezu die Schule mit all ihren Zwängen und besonders war mir der Kollektivismus des SED-Sozialfaschismus zuwider. Es gab ja in der damaligen DDR Russischunterricht ab der 5. Klasse. Nun hatte ich das Pech als kleiner Knirps in der 2. Klasse als besonders sprachbegabt zu gelten und man steckte mich in eine Förderklasse die schon ab der 3. Klasse Russischunterricht hatte. Zu allem Unglück gab es diese Förderklasse nicht in Ziebigk, dort wo ich wohnte, sondern in der Stadt in der Flösser-Schule an der katholischen Kirche und ich musste die Schule wechseln. Dies bedeutete für mich jeden Tag den umständlichen Weg hin und zurück, zwar mit dem Bus, aber zu dem musste man ja erst mal hin marschieren und vom Busbahnhof war es für einen kleinen Jungen auch noch eine ganz schön lange Strecke bis zur Schule. Dort kam ich ziemlich intensiv mit der russischen Sprache in Kontakt. Aber lange Jahre hielt ich es auf dieser Schule nicht aus, mir behagte einfach nicht dieser lange Schulweg, den ich mutterseelenallein bewältigen musste, denn ich war der einzigste Schüler aus Ziebigk der diese Förderklasse besuchte und besonders die Winter sind mir noch in schlechter Erinnerung, wo ich morgens in Dunkelheit und Kälte durch die Ferdinand-von-Schill-Straße wie in einem Alptraum wandelte. Damals waren ja noch auf der linken Seite der Straße nur Ruinen, die recht gruselig wirkten, nur unterbrochen durch die Eisbude des Herrn Grey, dessen Eis man auch im Winter kaufen konnte und welches ich mir auch öfter gönnte. Peinlich war es mir auch immer in den Bussen, denn mit dem Bus fuhren in ganz Dessau nur die Hilfsschüler in die Pestalozzi-Schule und oft wurde ich besonders von alten Damen mitleidig angesehen oder sogar angesprochen, die meinten ich wäre so ein „Dummenschule-Schüler“.

Russisch ja und sogar mit Begeisterung, aber diesen Gruselweg dorthin bis zu dieser Schule, der war mir zuwider und er hat sich tatsächlich bei mir im Gehirn eingebrannt, in nächtlichen Albträumen, die ich ab und an habe, finde ich mich oft noch heute auf eben diesem Weg um den Busbahnhof und der Ferdinand-von-Schill-Straße wieder, zwischen all den Ruinen und immer in winterlicher Dunkelheit, allein und meistens verfolgt. Daß ich von dieser Schule wieder wegkam, dies hatte ich nur einem Zufall zu verdanken. Der Weg nachmittags nach hause war schon ein angenehmerer, erstens war es hell und zweitens ging es ja nach Haus, weg von der Schuldisziplin hin zu der häuslichen Freiheit. Als Abkürzung wählte ich den Weg durch eine dieser Ruinen und da kam es, dass sich dort ein Exhibitionist herumtrieb. Exhibitionisten sind ja bekanntermaßen zum Glück harmlos und einen seelischen Schaden hat von deren Treiben noch kein Mensch bekommen, aber das war denn doch der Auslöser, dass mich meine Eltern von einem Tag auf den anderen von dieser Schule abmeldeten. Naiv hatte ich meinen Eltern von dem Herrn erzählt der des öfteren dort in der Ruine mit heruntergelassener Hose stand und statt zu pullern seinen Pimmel erregiert zeigte. Ich kann nicht sagen, dass mich das besonders erschreckt hätte, eher fand ich das komisch. Bei diesem Tun sagte er nichts, tat eher so als wenn er einen nicht bemerkte. Kurz und gut, die Plage mit der Russisch-Förderschule war ich los.

In der regulären Schule verlor ich bald die Lust an der russischen Sprache wie an den meisten anderen Fächern. Was mir aber gefiel, dies war die Brieffreundschaft mit einer russischen Schülerin. Diese Brieffreundschaften wurden durch die Schule vermittelt, einmal wegen der Erziehung zur Freundschaft zum „großen Bruder“ Sowjetunion und zum anderen um die russische Sprache auch praktisch anzuwenden. Letzteres war auch ein lobenswerter Ansatz, denn man strengte sich wirklich mehr an russisch zu lernen, schon um mit seiner Brieffreundschaft besser kommunizieren zu können. Meine Brieffreundin hieß Katja und kam aus Baku. Es entwickelte sich eine nette Brieffreundschaft und besonders freute ich mich wenn Katja mir in den Brief ein Abzeichen legte, denn diese sowjetischen Abzeichen waren immer so wunderbar emailliert und vergoldet und gefielen mir. Im Gegenzug bekam Katja vom mir irgendeine Kleinigkeit die es in der UdSSR nicht gab. Irgendwann erlosch der Briefwechsel und nur die Erinnerung bleibt. Ich erlaube mir ein paar Briefe von Katja hier als Scan zu bringen. Diese sowjetischen Schülerbriefe waren durchweg dadurch gekennzeichnet, daß auf ihnen fast immer russische Stammbuchbildchen aufgeklebt waren. Diese Fremdartigkeit hatte für deutsche Kinder einen besonderen Reiz. Den allerersten Brief von Katja an mich möchte ich den der russischen Sprache nicht mächtigen Lesern übersetzen. Ich selbst habe heute mächtige Mühe diesen Brief zu übersetzen, denn die russische Sprache ist einfach nicht so hängen geblieben wie man das von mehrjährigem Unterricht hätte erwarten müssen:

„Guten Tag deutscher Freund!
Ich heiße Katja mit dem Familiennamen Elisens. Ich bin Pionierin in der 7. Klasse der Schule 170. Ich wohne in der Stadt Baku. Meine Stadt ist sehr schön. Ich beschäftige mich in Zirkeln unserer Pionierorganisation. „Der Pionier hält Freundschaft mit den Kindern aller friedlichen Länder“. Ich will mit Dir in Briefwechsel treten. Ich stehe auch schon mit anderen Kindern aus anderen Ländern im Briefwechsel. Mein Gruß bietet Dir meine Freundschaft an.
Auf Wiedersehen
Antworte bald.
Deine Katja Elisens“

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