Mittwoch, 16. Juni 2010
Hochbefriedigt ?
1899 schrieb meine Großtante Frieda diese Postkarte. Damals wohnhaft in Westpreussen, ist es das einzigste was von dieser Großtante an Lebenszeichen übrig blieb. Sie hatte das Glück 1944 hochbetagt zuhause zu sterben, wenige Monate bevor die Russen dort einmarschierten und Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Hunderttausende kräftige Leute überlebten die Flucht nicht, wie viel weniger hätte die schon alte und kranke Großtante Frieda diese Flucht überstanden. Auch heute ist es noch so, es ist schon eine Gnade in den eigenen vier Wänden in die Ewigkeit gehen zu können, als in einem dieser deutschen Krankenhäuser oder Pflegeheime sterben zu müssen, wo bis in die Jetztzeit immer noch diese unselige Anstaltsatmosphäre herrscht, die kaum an Hotels für Alte und Kranke denken läßt, was eigentlich zu erwarten wäre, denn es wird ja viel Geld für einen Aufenthalt im Krankenhaus oder Pflegeheim bezahlt, sei es von einem selbst, von der Krankenkasse oder dem Sozialamt und da müßte eigentlich Hotelstandard eine Selbstverständlichkeit sein. Eigentlich - die deutsche Wirklichkeit sieht anders aus! Zu diesem Thema habe ich mich ja schon des öfteren ausgelassen, hier noch einmal die wichtigsten Links dazu:
http://barrynoa.blogspot.com/2008/06/am-deutschen-gesundheitswesen-die-welt.html
http://barrynoa.blogspot.com/2008/06/krank-in-deutschland-auswandern-ist.html
http://barrynoa.blogspot.com/2008/08/rzte-der-alten-schule.html
Großtante Frieda hatte da 1899 eine besonders hübsche Postkarte zum Schreiben ihrer Nachricht ausgesucht, eine Mylius-Künstlerkarte! Vor 1900 gab es kaum farbige Postkarten, die Erfindung der Postkarte war ja auch erst wenige Jahre alt, vordem kannte man nur die Post per Brief. Trotzdem gab es auch vor 1900 schon sehr originelle Karten. „Hochbefriedigt!“ - so hat der Künstler seine kleine Grafik betitelt! Ein passender Titel! Ein kleiner Maler sitzt vor seiner Staffelei mit einem Sonnenschirm und bläst kunstvoll mit einer Zigarre Rauchkringel, dies in einer Strandlandschaft mit Dünen und Wasser. Nun, wir wissen nicht ob der Künstler „hochbefriedigt“ über das Ergebnis seines auf der Staffelei befindlichen Bildes ist oder über die Rauchkringel, wo man nach dem Volksglauben, sich ja bei jedem gelungenen halbwegs runden Rauchkringel etwas wünschen kann, was dann in Erfüllung gehen soll. Es trifft wohl eher letzteres zu, denn das Bild auf der Staffelei scheint mir leer zu sein, also hat der kleine Künstler noch nicht mit seinem Werk begonnen, träumt aber schon von großen Erfolgen und ist „hochbefriedigt“!
Ist es nicht auch im wirklichen Leben oft so, daß wir uns vieles vornehmen und bevor wir damit überhaupt erst mal begonnen haben uns in den schönsten Farben ausmalen wie wunderbar alles werden könnte? Hätten wir diese Tagträume und Illusionen nicht, dann könnten wir uns gleich den Strick nehmen, denn die Wirklichkeit ist selten so wie wir sie uns wünschen. Darum, machen wir uns ruhig etwas vor, dies hilft uns zu mindestens über den Tag und eventuell noch über die Nacht.
Denn ein jeglich Vornehmen hat seine Zeit und Weise; denn des Unglücks des Menschen ist viel bei ihm.
Prediger Salomo (Buch Kohelet) 8,6
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