Sonntag, 31. März 2019

Einführung in den Antinatalismus: Auszug aus "Fluch der Geburt" von Dr. Gunter Bleibohm

Ich halte Dr. Gunter Bleibohm für den größten Philosophen überhaupt. Weshalb? Fast alle anderen Philosophen, der Vergangenheit und der Gegenwart, sind allein menschenzentriert, können nicht über den Tellerrand der menschlichen Gesellschaft hinaus sehen, sehen gar die Gattung Mensch, eine von vielen hunderttausenden Gattungen von Pflanzen und Tieren, als die Krone der Schöpfung an, einzigartig und allen anderen Gattungen überlegen, obwohl die Gattung Mensch nur eine von vielen Säugetiergattungen ist, die sogar mit besonders viel Unvernunft ausgestattet ist, was sich in der parasitären Lebensweise äußert, die alle anderen Gattungen maßlos versklavt, maßlos ausbeutet und damit die eigenen Lebensgrundlagen kaputt macht, eine Gattung also, die das Gleichgewicht der Natur empfindlich stört. 

Im Gegensatz zu Heuschrecken, die nur in einigen Landstrichen alles kahl fressen, so daß nur eine Wüste bleibt, hat sich die Gattung Mensch auf alle Erdteile ausgebreitet und die weitere maßlose Ausbreitung ist nicht zu stoppen, da antinatalistische Weltanschauungen nur eine Nischenexistenz haben. Ein Rufer in der Wüste ist der Philosoph Dr. Gunter Bleibohm, dessen Einführung in den Antinatalismus ich hier widergeben möchte.

Einführung in den Antinatalismus   

Auszug aus "Fluch der Geburt" von Dr. Gunter Bleibohm (www.gegensicht.de)

Vom Leiden in der Welt

Es geht die alte Sage, dass König Midas lange Zeit nach dem weisen Silen, dem Begleiter des Dionysus, im Walde gejagt habe, ohne ihn zu fangen. Als er ihm endlich in die Hände gefallen ist, fragt der König, was für den Menschen das Allerbeste und Allervorzüglichste sei. Starr und unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen, endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: „Elendes Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du mich dir zu sagen, was nicht zu hören für dich das Ersprießlichste ist? Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich – bald zu sterben.“
Diese Sage aus mythologischer Zeit gibt Friedrich Nietzsche  in „Geburt der Tragödie“ wieder. Eine Sage und Aussage, die in zahllosen Varianten bis in heutige Tage die grundsätzliche Sicht des Lebens konträr zur gewohnten Meinung beschreibt. Der Waldgott Silen rät zur Nichtexistenz, und für diejenigen, die zufällig zur Existenz gelangten, zur schnellstmöglichen Rückkehr ins Nichts!


„Nur dem Verrückten erscheint das Leben als ein Gut“. Das war vor dreiundzwanzig Jahrhunderten ein Lieblingswort des kyrenischen Philosophen Hegesias, von dem fast nichts als dieser Ausspruch direkt überliefert wurde.

„Das Leben ist der Güter größtes nicht. In diesem kurzen Menschenleben ist keinem, weder diesen noch anderen, ein so ungetrübtes Glück beschieden, dass er nicht manchmal wünschen sollte, lieber tot zu sein, als noch länger zu leben. Denn Unglücksfälle, von denen wir betroffen werden, und Krankheiten, welche uns heimsuchen, bewirken, dass uns dies Leben, so kurz es ist, dennoch zu lang deucht. So ist der Tod dem Menschen die erwünschte Erlösung aus den Nöten dieses Lebens, und der Gott, der uns das süße Leben kosten lässt, hat sich insofern neidisch bewiesen.“ schreibt Herodot, (7.Buch, Absatz 46) und beim Prediger Salomo (4, 1-3) können wir in der Bibel lesen:

„Ich wandte mich um und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren die Tränen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Tröster; und die ihnen Unrecht taten, waren zu mächtig, dass sie keinen Tröster haben konnten. Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das Leben hatten; und besser als alle beide ist, der noch nicht ist und des Bösen nicht innewird, das unter der Sonne geschieht.“

„Überzähle die Freuden, welche deine Stunde gesehen haben; überzähle die Tage, die von Angst frei gewesen; und wisse, dass, was immer du gewesen sein magst, es etwas Besseres ist, nicht zu sein.“ erfahren wir bei Byron
(Euthanasia, Str. 9) und in unserem Jahrhundert schreibt der Nobelpreisträger Heinrich Böll in seinem „Irisches Tagebuch“:  „Wie hoch ist der Fahrpreis für diese fünfzig, sechzig, siebzig Jahre vom Dock, das Geburt heißt, bis zu der Stelle im Ozean, wo der Schiffbruch erfolgt?“


Exemplarische und identische Aussage aus mehr als zwei Jahrtausenden von den größten Denkern der Menschheit, Aussagen, die im allgemeinen Bewusstsein keinen Platz gefunden haben, die im Gegenteil aufs heftigste verdrängt, ja sogar geleugnet werden.
Es genügt aber zu erkennen, dass das Sein keinen Vorrang vor dem Nichtsein haben kann – im Gegenteil, das  Nichtsein kann die Tragödie des Lebens vermeiden; das lange Leben kann eine lange Plage sein, wie Beispiele aus beliebigen Pflege- und Altenheimen eindrücklich beweisen.

Man kann alles leugnen und durch theologischen Hokuspokus in das “Gute“ umlügen, den Schmerz kann man nicht leugnen, das brutalste Fundament des Lebens.
Mit zunehmender Erkenntnisfähigkeit und zunehmenden Bewusstsein  (in der groben Reihenfolge: Stein, Pflanze, Insekt, Wirbeltier, Mensch) wächst die Qual, das Leiden. Diese Hypothese der Abstufung gilt mit der Einschränkung, dass sie nur vor dem Hintergrund  menschlichen Wissens zu sehen ist; ob die Aussage absolut richtig ist, liegt nicht im Bereich unserer Erkenntnisfähigkeit!

Das reale Dasein eines beliebigen Lebens findet  nur in der Gegenwart statt; Gegenwärtiges ist der Lebensweg in Zukünftiges, aber nur die Gegenwart allein ist wahr und wirklich und nur in ihr liegt unser Dasein. Die Vergangenheit ist nicht mehr erreichbar, gehört  bereits dem Tod, die Zukunft ist noch nicht erreichbar, ist nur ein ungedeckter Scheck auf eine künftige Lebensaussicht. Die Zukunft  ist lediglich eine Aussicht, die täglich, stündlich, in jedem denkbaren Moment alle Hoffnungen vernichten kann. Die Hoffnung des Menschen wird durch den Autounfall, die Hoffnung des Schweins durch den Transport zum Schlachthof jäh vernichtet. Dennoch, und hier liegt der bedenkliche Teil des Lebens, muss dieses flüchtige, banale Gebilde mit tiefem Schmerz bezahlt werden.

Der Mensch, wie auch das Tier, wehrt mit jedem Atemzug den Tod ab, bis er letztendlich den Kampf verliert. Anders formuliert: zu leben bedeutet lediglich ein Hemmnis des Sterbens oder wie der Kirchenlehrer Augustinus es  in „De civitate Dei, 13. 10“ ausdrückt: „Überhaupt ist die Zeit, in der wir hier leben, nichts anderes als ein Lauf zum Tod“.
In seinem Innersten wird dem Menschen hingegen die Aussichtslosigkeit seiner Existenz  mit zunehmendem Alter immer präsenter und begleitet sein Denken, seine Gespräche, sein Handeln. Es ist ihm immer deutlicher, bewusster, dass er sein Leben wie in einem Glasgefäß, Körper genannt, mit sich trägt; er fühlt und weiß mit wachsender Lebenserfahrung, dass dieses Glas bei der kleinsten Berührung zerspringen kann. Leben bedeutet letztendlich von der ersten Sekunde an, den Weg in den Tod zu beschreiten, zurückzugehen  in das ewige Nichtsein, heißt nichts anderes, als fortwährend sterben, wie Seneca sagt. Lediglich der letzte Atemzug beendet diesen Todesprozess endgültig und vollendet ihn.


Vor dem Horizont der unendlichen Zeit ist die Dauer des Lebens aber unerheblich, egal, ob das Leben drei Tage oder drei Jahrhunderte dauert, wie Marc Aurel die hohe geistige Freiheit stoischer Gesinnung ausdrückt. Es ist deswegen unerheblich, weil vor Beginn des individuellen Seins eine unendliche Zeit der Nichtexistenz lag; die unendliche Zeit der Nichtexistenz folgt aber auch dem Tod auf den Fuß. Mathematiker wissen, dass zu Unendlich jede beliebige Zahl addiert werden kann, ohne den Wert von Unendlich zu verändern. Gläubige mögen das anders sehen, aber Glauben trägt keinen Schritt weit in das Land der Gewissheit. Glauben heißt Wunschdenken, Glauben ist eingestandenes Nichtwissen.

Dem permanenten Todesprozess steht der Wille zum Leben, die Seinsgier, gegenüber. Nichtsangst und Seinsgier bilden in Wechselwirkung die Sklavenkette, an der sich der Mensch durch sein ganzes Leben schleifen lässt; nur einer Minderheit gelingt die Flucht aus dieser intellektuellen Gefangenschaft.

Der Lebenskampf gilt der Erhaltung der körperlichen Existenz, einer Existenz, in die man durch Geburt gezwungen und sich selbst überlassen wurde. Sich selbst überlassen meint nicht das Fehlen sozialer Kontakte, gemeint ist vielmehr, dass jegliches Leid, welches das Leben bereit hält, unteilbar ist und allein durchlebt werden muss. Jeder kämpft auf seinem Lebensweg mit seinem Leiden in letzter Konsequenz allein und wird zudem in einen fatalen Kreislauf gezwungen, nämlich dergestalt, dass aus der Erhaltung der eigenen Existenz zusätzlich die Vernichtung anderer Leben resultiert.


Leiden ist Prüfung oder Strafe sagen die kirchlichen Lebensverächter, aber diese Leidenserklärung ist ein Schlag ins Gesicht der Vernunft und bildet somit das Fundament des A -Theismus. „Wer aber vollends die Lehre meiner Philosophie in sich aufgenommen hat und daher weiß, dass unser Dasein etwas ist, das besser nicht wäre, und welches zu verneinen und abzuweisen die größte Weisheit ist, der wird auch von keinem Dinge, oder Zustand, große Erwartungen hegen, nach nichts auf der Welt mit Leidenschaft streben, noch große Klagen erheben über sein Verfehlen irgend einer Sache; sondern er wird von Plato´s  “Auch ist keine menschliche Angelegenheit es wert, dass man sich sehr darum bemüht“ durchdrungen sein“ resümiert Arthur Schopenhauer.

Warum leide ich? Warum nicht lieber gar nicht sein, als den steinigen Lebensweg zum Abgrund hinabrennen? Ist das Leben nicht wie ein Ballon, den man aufbläst, von dem man aber weiß, dass er platzen wird?

Was ist das Leid, wie entsteht es, warum ist es? Um der Beantwortung dieser Fragen näher zu kommen, möge der Erklärungsweg von Arthur Schopenhauer kurz skizziert werden.
Der Mensch wird in das Leben geworfen und findet sich in einer end- und grenzenlosen Welt – wie eingangs ausgeführt – unter zahllosen anderen Individuen wieder; alle sind, wie er, strebend, irrend und kämpfend, auf der Suche nach dem Glück. Wir fühlen den Schmerz, aber nicht die Schmerzlosigkeit, wir fühlen die Furcht, aber nicht die Sicherheit und denken an das Glück dann am stärksten, wenn es dauerhaft ausbleibt. Doch Glück ist flüchtig, Glück ist nicht dauerhaft. Dauerhaft ist der Schmerz, die Sorge, dauerhaft ist hingegen auch das Verlangen, das Begehren, eine Befriedigung zu stillen, um einen Glücksmoment zu erhaschen. Die Befriedigung seines Begehrens bezahlt das Lebewesen aber mit einer unablässigen Mühe, mit steter Sorge im Kampf mit dem Mangel, und mit der Aussicht, diesen Kampf täglich, jährlich, also immer aufs neue bis zum Tod führen zu müssen. Alles im Leben deutet darauf hin, dass Glück eine Fata Morgana ist, eine Täuschung, dass Glück oft  für die Zukunft erhofft oder in der Vergangenheit gesehen wird, selten hingegen in der Gegenwart.

Die fortwährende Enttäuschung erweckt die Überzeugung, dass Streben und Ringen zur Erlangung des Glückes ungeeignet sind, dass das Leben ein Geschäft ist, das mit nichtigen Gütern handelt. „Und das mit Recht, denn alles was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht. Drum besser wär´s, dass nichts entstünde“ lesen wir bei Goethe in Faust I, Vers 1339, treffend. Hegesias von Kyrene zieht die Schlussfolgerung: „Wenn Glückseligkeit unmöglich ist, so ist das Ziel des Lebens Leidlosigkeit“ oder als reales Ziel formuliert: Das Leben ist nicht dazu da, um genossen zu werden, sondern um unter der Nebenbedingung überstanden zu werden, die Leiden zu minimieren und eine weitgehend schmerzlose Existenz zu durchleben.

Nachdem die Frage des Leides allgemein skizziert ist, bedarf es der Konkretisierung, einer exemplarischen Beschreibung von Eckpunkten bei gleichzeitiger Berücksichtigung unterschiedlicher Spezies.

Schweine in der Massentierhaltung, Hühner im Drahtkäfig der Legebatterien, Gänse in der Stopfmast etc., sind einem Leben ausgesetzt, dass besser nicht wäre. „Für diese Gier werden weltweit jährlich 53 Milliarden Landtiere geschlachtet, oft nach Lebensumständen, die wir unseren Haustieren niemals zumuten würden.


Den Skrupel, den die ersten Zivilisationen bei der Tötung von Tieren empfanden und den sie durch Rituale aufzufangen suchten, haben wir längst verdrängt. Vielleicht weil wir einen neuen Namen für diese biologische Lebensform gefunden haben: Vieh. Das klingt weniger nach Tier. Weniger nach Lebewesen“ schreibt Petra Steinberger am 10.1.2010 in der Süddeutschen Zeitung.

Tiere in Versuchslaboren, gefangene, im Willen gebrochene und jeglicher sozialer Kontakte beraubte Wildtiere im Zirkus oder Zoo, Tiere , die gezüchtet werden, um dann dem Freizeitvergnügen degenerierter Menschen in der Arena und bei der Jagd zu dienen, leiden sinnlos. Für all diese Wesen wäre es besser gewesen, nie geboren zu werden, ihre Nichtexistenz wäre vielmehr ein Gnadenakt, ein Glücksgeschenk  gewesen und hätte den Planeten ein wenig leidfreier gemacht. Aber sind wir aufrichtig. Am Schlimmsten ist nicht einmal das Elend, das wir sehen, am Schlimmsten ist das Bewusstsein für die immense Summe des Leides, das wir nicht sehen, das wir nur erahnen können.

Ihr Leiden ist evident, ist brutal und schrecklich. Für diese Lebewesen ist die Welt ein Ort der Hölle, ein Martyrium mit der einzigen Aussicht auf einen schnellen Tod. Je eher diese Tiere durch Tod erlöst werden, desto kürzer wird ihr Leidensweg sein, je eher werden sie von der sinnlosen Zwangsdeportation in das Leben erlöst. Der Moment der Rückkehr in das Nichts, in den ewigen Frieden ist ihr höchstes Glück.

Für die 29.000 Kinder, die täglich verhungern, wäre das Leid des Lebens erspart worden, wären sie nicht geboren worden. Millionen von Flüchtlingen, von Verletzten, von Kranken, von Behinderten, Millionen von Obdachlosen, von Hungernden, von Gefangenen, 

Versklavten, Unterdrückten, Ausgebeuteten und Ausgestoßenen empfinden das Leid des Lebens täglich an Geist und Körper ohne Aussicht auf Änderung. Die Rücksichtslosigkeit des Menschen gegen seinesgleichen aus Boshaftigkeit, Egoismus, Profitgier, aber auch aus Dummheit, ist der Brennstoff für dieses verheerende Feuer. Die rettende Erlösung aus dem täglichen Leidensweg wird ebenfalls für die meisten von ihnen ein baldiger Tod sein, denn  Leben bedeutet nicht „überleben, atmen und vegetieren“. Leben, lebenswertes Leben umfasst für Mensch und Tier wesentlich andere Faktoren. Leiden und Qualen können so weit anwachsen, dass nur der Tod als Flucht übrigbleibt; der Tod ist dann die Korrektur einer verfehlten Geburt!

Dass aber diese Sicht der Dinge nicht ungewöhnlich ist, lässt sich schon bei Herodot, 5.Buch, Absatz 4, nachlesen:
„Wie es die Geten machen, die an die Unsterblichkeit glauben, habe ich schon erwähnt. Die Trauser machen es sonst ganz wie die übrigen Thraker, bei der Geburt und beim Tode eines Menschen aber haben sie besondere Bräuche. Wird ihnen ein Kind geboren, so kommen die Verwandten zusammen und bejammern es der Leiden wegen, die ihm im Leben bevorstehen, wobei sie alle Leiden aufzählen, die einem Menschen zustoßen können. Wenn aber einer stirbt, bringen sie ihn fröhlich mit Sang und Klang unter die Erde, weil er nun aller Leiden ledig und zum seligen Leben eingegangen ist.“


Aber auch diejenigen, die im vordergründigen Wohlstand leben, die noch jung, stark und gesund sind, die eine vermeintliche Zukunft vor sich haben, werden vom Leid schnell eingeholt. Existenzangst, ungewisse wirtschaftliche Zukunft, Vermassung innerhalb zerstörter Umwelt, Entrechtung und überraschende Schicksalsschläge bilden den Leidensauftakt. Alter, Krankheit, Verarmung, Isolation und anonymes Sterben schließen das hoffnungsvoll begonnene Leben dereinst bei vielen Individuen ab, das Leben endet in der absehbaren Katastrophe; der umgekehrte Weg, schlechter Start- gutes Ende, ist die Seltenheit, die Nadel im Heuhaufen.

Leiden, das den Menschen nicht unmittelbar betrifft, aber sein Leben bestimmt und verändert, ergänzt vorstehende Aufzählung. Waisenkinder, Scheidungskinder, Familien in ausweglosen sozialen Verhältnissen, Menschen mit dauerhafter Arbeitslosigkeit und einer Zukunft ohne Perspektiven, Kinder mit schwerkranken Eltern, Jugendliche mit fehlender oder mangelnder Schulbildung usw. gehören genauso zum Leidensspektrum des Lebens, wie die Angst des homo religionis, was ihn denn dereinst im „Jenseits“ erwarten wird. Die Furcht vor der ewigen Verdammnis war über Jahrhunderte einer der mächtigsten Unterdrückungsmechanismen  christlicher Kirchen und wird heute noch zur Machterhaltung kirchlicher Strukturen missbraucht. Die Hoffnung auf eine herrliche Weiterexistenz im „Jenseits“ hegt zwar der Gläubige, allein die Möglichkeit, dass sein irdischer Leidensweg sich nach seinem Tod ad infinitum fortsetzt, lässt ihn vor Angst erzittern.

Schließen wir den Kreis, der argumentativ ganze Bibliotheken füllt und nur angerissen werden konnte; die skizzierten Überlegungen werden mit den Worten großer Geister beendet:
„ Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde!
Der Tag, da mich gebar meine Mutter – nicht der sei gesegnet!
Verflucht sei der Mann, der es verkündete meinem Vater, sprechend:“Geboren ist dir ein Sohn, ein Junge“………
Wozu dies, dass ich aus dem Schoß ausfuhr, zu schauen Mühe und Gram,
und dass sich verzehrten in Schande meine Tage?“ (Jeremiah 20, 14-18)


Leo Tolstoi zitiert den Prediger Salomo “Alles in der Welt, Torheit und Weisheit, Reichtum und Armut, Freude und Schmerz,- alles ist eitel, alles ist nichtig. Der Mensch stirbt dahin und es bleibt nichts von im übrig; und das ist dumm“. 

Und von Buddha ist uns eine vergleichbare Aussage überliefert:  „Leben mit dem Bewusstsein der Unvermeidlichkeit der Leiden, der Entkräftung, des Alters und des Todes kann man nicht- man muss sich befreien vom Leben, von jeder Möglichkeit des Lebens“.

Kernthesen zum Leiden in der Welt

• Das Sein hat keinen Vorrang vor dem Nichtsein – im Gegenteil, das         Nichtsein  kann die Tragödie des Lebens vermeiden.
• Man kann alles leugnen, nur den Schmerz kann man nicht leugnen, das brutalste Fundament des Lebens.
• Der Mensch, wie auch das Tier, wehrt mit jedem Atemzug den Tod ab, bis er letztendlich den Abwehrkampf verliert; zu leben bedeutet lediglich ein Hemmnis des Sterbens.
• Wenn Glückseligkeit unmöglich ist, so ist das Ziel des Lebens Leidlosigkeit

Antinatalismus

Der Begriff Antinatalismus stammt von dem lateinischen Verb nasci = geboren werden ab und beschreibt den ethischen Ansatz, eine Reduzierung des tierischen und menschlichen Leides durch einen konsequenten Verzicht auf Fortpflanzung zu erreichen.
Es ist das Axiom des westlichen Denkens – des Denkens der gesamten Menschheit inzwischen -  dass das Sein etwas Gutes, je länger und je mehr um so besser, das Nichtsein etwas prinzipiell Schlechtes sei.


Langes Leben impliziert im bisherigen Denken glückliches Leben, bedeutet erstrebenswertes Leben.  Die Erschaffung vieler  Menschen ist Schöpfungsziel.
 „Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan“, sprach der Demiurg in der Genesis – nur von Vernichtung der Erde als Lebensraum sprach er nichts und er sprach auch nicht davon, dass alles auf Kosten, zum Nachteil, zur Verelendung anderer Lebewesen geschehen solle.

„Die Metaphysik antwortet mit einem zirkulären, von ihr gleichwohl für evident gehaltenen Axiom, seine Bedeutung kann kaum unterschätzt werden: Das Geschaffene ist gut, weil es - wie Er – gut ist. Und es ist gut, weil er ist. Denn das Seiende ist das Gute, das Seinsollende, wie das Gute, das wahrhaft Seiende ist; das Nichts ist das Schlechte, wie das Schlechte in Wahrheit nichtseiend ist. Das ist der Grundsatz der abendländischen Ontologie“ philosophiert Ludger Lütkehaus in seinem Hauptwerk „Nichts“.

Die Menschheit, nein, das Schicksal des gesamten Planeten steht am Scheidepunkt. Lebten um die Zeitenwende erst rund 170 Millionen Menschen auf der Erde, hat sich heute ihre Anzahl um das 35-fache, auf nahezu sieben Milliarden Menschenwesen, erhöht. Aus dem exponentiellen Wachstum der Erdbevölkerung resultiert eine jährliche Zunahme der Menschenflut von 80 Millionen Menschen; Menschen, die Lebensraum, Wohnungen, Arbeitsplätze und Versorgung benötigen.

Bereits im Jahr 2030 ist mit neun Milliarden Menschen, bis zum Ende des Jahrhunderts mit mehr als 12 Milliarden Menschen zu rechnen, die den Planeten wie einen giftigen Schimmel überwuchern werden.

Man führe sich zur Verdeutlichung der Wachstumsgeschwindigkeit nur vor Augen, dass ein Paar mit drei Kindern - gleiches Fortpflanzungsverhalten der Kinder und Enkel unterstellt - in zehn Generationen auf 88.572 Menschen anwächst.

Das  Wachstum der Menschheit überfordert inzwischen alle ökologischen und politischen Systeme und lässt unseren Planeten in absehbarer Zeit ins Chaos abgleiten.
Antinatalismus ist ein Thema, das in der Geschichte von Denkern schon mehrfach berührt wurde, seine Dringlichkeit erhielt dieser Problemkreis jedoch erst, als die Wachstumskurve der Menschenflut  in den exponentiellen Bereich, in den unbeherrschbaren Bereich, überging.  Eine ausführliche Diskussion der Konsequenzen habe ich in „Comedia finita est“ vorgenommen.

Ein Verleugnen, ein Schönreden dieser Entwicklung stellt ein Verbrechen gegenüber bestehendem und künftigem Leben dar, vernichtet es doch jegliche Zukunftsperspektive für eine humane Lebensgestaltung. Muss man die heutige Vernichtung der Lebensgrundlagen nicht vielmehr auch als einen massiven Verstoß gegen die Menschenrechte, die Menschenwürde kommender Generationen bezeichnen und brandmarken? 

„Homo homini lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ schrieb Plautus in seinen Asinaria und mit diesem Satz  kann äußerst treffend die brutale Rücksichtslosigkeit und den Egoismus  der heutigen Natalisten beschrieben werden.

Karl Jaspers, der bedeutende deutsche Philosoph, meinte „Die ungehemmte Vermehrung, als natürlicher Anspruch überall bejaht, von Kirchen und Staaten gar gefordert, ist als solche schon ein potentieller Eroberungsakt. Geburtenbeschränkung dagegen wird einst ein unumgänglicher Friedensakt sein“ und  Thomas Bernhard führte in seinem Werk „Frost“ diesen Gedanken ins Konkrete. Er sagte: „Die Menschen, die einen neuen Menschen machen, nehmen doch eine ungeheure Verantwortung auf sich. Alles unerfüllbar. Hoffnungslos. Das ist ein großes Verbrechen, einen Menschen zu machen, von dem man weiß, dass er unglücklich sein wird, wenigstens irgendwann einmal unglücklich sein wird. Das Unglück, das einen Augenblick lang existiert, ist das ganze Unglück. Ein Alleinsein erzeugen, weil man nicht mehr allein sein will, das ist verbrecherisch. Der Antrieb der Natur ist verbrecherisch, und sich darauf berufen ist eine Ausrede, wie alles nur eine Ausrede ist, was Menschen anrühren.“

Antinatalismus, wie ich ihn verstehe, bewegt sich in dem ethisch-philosophischen Dreieck der Erkenntnis der allgemeinen, wohlgemerkt nicht der individuellen, Sinnlosigkeit jeglichen Seins, dem moralischen Bestreben, einen Leidensabbau, eine Elendsminimierung für jegliches Leben zu bewirken und der „hoffnungslosen Hoffnung“, einen Absturz des Planeten in ein alles vernichtendes und verschlingendes Chaos zu verhindern.

Gustave Flaubert war ein gedanklicher Vorreiter mit seinem Satz in einem  Brief an Louise Colet am 11. Dezember 1852: „Der Gedanke, jemanden  in diese Welt zu bringen, erfüllt mich mit Schrecken… Möge mein Fleisch doch völlig untergehen! Möge ich niemals jemandem den Stumpfsinn und die Schande der Existenz vererben!“

Wer eine friedvolle und weitgehend leidensfreie Welt anstrebt, muss das ungebremste Wachstum der Menschheit ächten, das Anathema, den Bannfluch über die „Lebensspender“ sprechen, die durch fehlende Antizipation der Folgen ihrer Handlungen zu extremen Lebensverächtern werden. Gerade wer die Heiligkeit des Lebens propagiert und anerkennt, darf kein neues Leben, ein Leben, das von Leid getragen wird, produzieren, sondern kann sich einzig und allein nur darum bemühen, bestehende Qual zu verringern.

Wer Leben heute noch produziert, ist in letzter Konsequenz  Befürworter des Leides, ist  Gegner, zumindest aber Verhinderer, eines leidfreien Lebens; wer Leben produziert, toleriert zugleich auch das Leiden, das Sterben und den Tod dieses Lebens.

Soweit das scharfe Verdikt für diejenigen, die um die Zusammenhänge wissen oder die Zusammenhänge mindestens erahnen. Und die anderen, der unbedarfte Rest? Sie sind vorläufig durch ihr Nichtwissen exculpiert; sie sind vorläufig noch entschuldigt, weil genau das Gegenteil dieser Analyse ihnen von Staat, Kirche und Familie gelehrt wurde, aber sie sind ab sofort aufgefordert, ihren Beitrag für eine Welt mit weniger Elend und Leid zu leisten. Das Paradoxon des Lebens bedeutet in concreto, dass, wenn als Ziel angestrebt wird, Leben leidensreduziert und weitgehend schmerzfrei für die Kreatur zu gestalten, kein weiteres Leben in die Existenz geworfen werden darf.

Spätere Kapitel werden diese Aussage verschärfen, indem der Nachweis geführt wird, dass jedes neue Menschenleben eine immense, unvorstellbare Todesspirale der Vernichtung in der Tierwelt auslöst. Eltern, die ein Menschenleben schaffen, sind der Auslöser für endlose Tierqual, für Leiden und Sterben tausender  Mitgeschöpfe verantwortlich. Sie sind rücksichtslose Henker anderer Leben, denn geboren wird aufs Neue ein großer Vernichter, ein neuer Baustein in der Mauer der unendlichen Qual, ein neuer Beschleuniger der kollektiven Apokalypse.

Wenn ein Mann, wie der Philosophieprofessor Klaus Petrus, heute fordert, die Tiere – und man denke primär an die „Nutztiere“ – in Würde aussterben zu lassen und dafür gegeißelt und verlacht wird, zeigen seine Kritiker damit nur, dass sie ethisch, moralisch und philosophisch hinter die archaische Zeit zurückgefallen sind. Klaus Petrus fordert für die Tierwelt genau das, was der Antinatalismus in der menschlichen Welt als Rettungsanker auswirft.

Schlussendlich kann und muss auf den dümmlichen Einwand, dass bei strenger Befolgung des Antinatalismus die Menschheit aussterben wird, sarkastisch mit Emil Cioran (Die verfehlte Schöpfung), einem Protagonisten des Antinatalismus, geantwortet werden:
„Es ist wichtig, die Fortpflanzung zu entmutigen, denn die Furcht, dass die Menschheit erlösche, hat keine Grundlage: was auch geschieht, es wird immer genug Blöde geben, die nichts besseres wünschen, als sich fortzusetzen, und wenn selbst sie sich schließlich entziehen, so wird sich immer irgendein widerliches Paar finden, das sich dafür opfert. Es geht nicht so sehr darum, den Hunger aufs Leben zu bekämpfen, als die Lust auf „Nachkommenschaft“. Die Eltern, die Erzeuger, sind Provokateure oder Irre. Dass noch die letzte Missgeburt die Gabe besitzt, Leben zu geben, „auf die
Welt zu bringen“ – gibt es Demoralisierenderes?“

Kernthesen zum Antinatalismus

• Antinatalismus bewegt sich in dem ethisch-philosophischen Dreieck der Erkenntnis der allgemeinen, wohlgemerkt nicht der individuellen, Sinnlosigkeit jeglichen Seins, dem moralischen Bestreben, einen Leidensabbau, eine Elendsminimierung für jegliches Leben zu bewirken und der „hoffnungslosen Hoffnung“, einen Absturz des Planeten in ein alles vernichtendes und verschlingendes Chaos zu verhindern.
• Wer eine friedvolle und weitgehend leidensfreie Welt anstrebt, muss das ungebremste Wachstum der Menschheit ächten.
• Wer die Heiligkeit des Lebens propagiert und anerkennt, darf kein neues Leben, ein Leben, das von Leid getragen wird, produzieren, sondern kann sich einzig und allein nur darum bemühen, bestehende Qual zu verringern. Dies gilt sowohl für tierisches als auch menschliches Leben.

Asymmetrie von Leid und Glück

David Benatar, Philosophieprofessor an der Universität von Kapstadt, untersucht in seinem 2006 erschienen Werk “Better never to have been - The harm of coming into existence“ systematisch die ethische Existenz-Asymmetrie.
Dieser Kerngedanke Benatars  sei nochmals im Folgenden präzisiert.
Ausgegangen wird von der Hauptthese, dass jede Existenz grundsätzlich dauerhaft mit einem schweren Leid verbunden sein wird. Ein „gutes“ Leben kann das irdische Dasein partiell angenehm machen und sogar erstrebenswert scheinen lassen, aber würde diese Kreatur überhaupt nicht existieren, könnte sie das „Gute“ auch nicht vermissen. Im Umkehrschluss lautet daher die Aussage: Wer nicht existiert, leidet auch nicht.
Das Postulat der Asymmetrie und die ethisch-philosophischen Positionen der vorausgegangenen Abschnitte führen somit zu zwei Grundaussagen:
• Die Existenz von Leid ist schlecht, die Existenz von Glück gut.

• Die Nichtexistenz von Leid ist gut, während die Nichtexistenz von Glück zumindest nicht schlecht ist.


Bei tieferer Analyse gelangt man somit zu folgender  Fallkonstellation.

• Ist der Zustand des geführten Lebens angenehm und schmerzfrei, die Wirkung auf die Existenz also erträglich, würde trotzdem bei Nichtexistenz die Kreatur keinen Nachteil oder Schaden erleiden, da die Nichtexistenz per definitionem nicht wahrnehmbar ist und somit keinen Verlust darstellt.
• Ist der Zustand des Lebens hingegen unangenehm und von Leid und Elend geprägt, tendiert die Wirkung auf die Existenz also Richtung Unerträglichkeit, würde die Kreatur auch bei einer hypothetischen Nichtexistenz  keinen Nachteil oder Schaden erleiden, da die Nichtexistenz das Leid des Lebens verhindert.
• Ist der Zustand des Lebens neutral, also weder angenehm noch unangenehm zu bewerten und somit die Wirkung auf die Existenz gleichfalls neutral, würde trotzdem bei Nichtexistenz die Kreatur keinen Nachteil oder Schaden erleiden, da die Nichtexistenz per definitionem nicht wahrnehmbar ist und somit keinen Verlust darstellt.
Wird vorstehende Fallkonstruktion auf die Entscheidung übertragen, ob neues Leben geschaffen werden soll, gelten nachstehende Randbedingungen
• In stringenter Logik dieser Asymmetrie ist es somit stets geboten, einen zusätzlichen Menschen nicht zu zeugen, da die Leiderfahrungen, die er unweigerlich machen wird, seine Zeugung zu einem moralisch- ethisch verwerflichen Geschehen macht.
Die Leiderfahrungen des Lebewesens kumulieren sich, selbst bei glücklichstem Leben, durch den zunehmenden biologischen Zerfall des alternden Körpers und können durch Glückserfahrungen nicht kompensiert werden; Leid wiegt ethisch schwerer als Glück.

• Die Unterlassung hingegen, ein Kind zu zeugen, ist per se nicht schlecht, zumal das fehlende Glück des Kindes kein Glück ist, dessen das nichtexistente Kind beraubt wird. Bei Nichtexistenz ist die Empfindung von Leid und Glück ausgeschlossen, eine Verlustwahrnehmung nicht vorhanden. Sowenig, wie eine Erinnerung an die Zeit vor der Geburt existiert, sowenig kann ein Ausbleiben einer hypothetischen Existenz mit Kriterien für „Glück“ und “Leid“ bewertet werden.

„Der Kerngehalt der ethischen Existenz-Asymmetrie besteht also zunächst darin, dass wir verpflichtet sind, keinen Menschen zu zeugen, wenn gewiss ist, dass er leiden würde, dass wir hingegen nicht einmal dann verpflichtet wären, einen neuen Menschen zu zeugen, wenn gewiss wäre, dass ihm eine überaus glückliche Existenz beschieden sein würde“ subsumiert Karim Akerma.
Der gesamte bisherige Analyseprozess unterliegt aber immer noch der fundamentalen Einschränkung, dass die Erzeugung einer neuen Existenz nur danach beurteilt wird, was diese Kreatur im Laufe ihres individuellen Lebensweges an Leid und Glück erwarten kann. Die Wirkung ihrer individuellen Existenz auf andere Lebewesen, insbesondere auf unsere tierischen Mitwesen, wird in späteren Abschnitten untersucht.

Benatars  Analyse  wurde deshalb auch so eminent wichtig im heutigen anthropozentrischen Weltbild, da er wieder auf einen lang vergessenen Weg der Ethik zurückkehrt, der sich in seinem Denken von der hybriden Vorstellung des Menschen als Nabel der Welt löst und alle Lebewesen in einer übergreifenden Ethik vereint.


Kernthesen zur Asymmetrie von Leid und Glück:

• Eine bevorstehende elende Existenz ist ein Grund, kein zusätzliches Lebewesen hervorzubringen.
• Eine bevorstehende glückliche Existenz ist hingegen kein entsprechend gewichtiger Grund, ein zusätzliches Lebewesen hervorzubringen.

Diktat der Geburt

„Man denke sich ein Mal, dass der Zeugungsakt weder ein Bedürfnis, noch von Wollust begleitet, sondern eine Sache der reinen, vernünftigen Überlegung wäre: könnte wohl dann das Menschengeschlecht noch bestehen? Würde nicht vielmehr jeder so viel Mitleid mit der kommenden Generation gehabt haben, dass er ihr die Last des Daseins lieber erspart, oder wenigstens es nicht hätte auf sich nehmen mögen, sie kaltblütig ihr aufzuerlegen?“
Diesen Worten von Arthur Schopenhauer in seinen philosophischen Betrachtungen „Vom Leiden der Welt“ ist schwerlich der Wahrheitsgehalt abzusprechen. Die Realität zeigt hingegen ein anderes Gesicht, so dass es einer Falldiskussion bedarf.

Jeder Geborene unterliegt unstrittig einem Diktat der Geburt. Ein Schöpfer, sei es „Gott“, seien es die Eltern, „schenken“ Leben,

• ohne dass der Beschenkte über die Annahme entscheiden kann,

• ohne Berücksichtigung, dass der Beschenkte ohne „Geschenk“ nicht ärmer wäre und

• dass die Beschenkten noch nicht existierten, als sie beschenkt wurden, also keine Möglichkeit hatten, das Geschenk zu verweigern oder abzulehnen.
Die Zeugung einer neuen Kreatur ist unstrittig ein Akt der Willkür, mündet doch die Zeugung für den Gezeugten in einer Zwangsdeportation in das Leben oder, um bei den Worten von Heidegger zu bleiben, die Kreatur wird in das Leben „geworfen“. Aber die Kreatur wird in der Tat weniger in das Leben geworfen, als vielmehr in das Leben gezwungen, gezerrt, zum Leben unschuldig verurteilt, so dass jedes Leben zunächst mit einer Vergewaltigung des Willens des Geborenen beginnt.
Dieses Trauerspiel mit komödienhaften Zügen drückt Leo Tolstoi noch relativ freundlich aus, wenn er sagt: „Dieses Leben ist nichts als ein dummer, böser Spaß, den sich jemand mit mir erlaubt hat“

Aber man muss die Redlichkeit und natürlich auch den Mut haben, in den Abgrund der Beweggründe zu schauen.

In vielen Fällen - die Behauptung heißt aber, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle - erfolgt kein Nachdenken, ob Leben geschaffen werden soll oder nicht; die Fortpflanzung ist mehr die Folge eines Zufalls, einer Gelegenheit und des Sextriebes, denn eine Folge der Überlegung. “Man kann nicht zugestehen, dass ein Gott, ja, nicht einmal dass ein Mensch aus einer Turnübung entspringt, die von einem Grunzen gekrönt wird“ ist der Sarkasmus von Cioran hierzu.

Ein Denken über die eigene Situation hinaus, also eine Antizipation aller Unwägbarkeiten auf dem Lebensweg des Kindes, ein Einbeziehen gar der künftigen globalen Situation in die Überlegung der Zeugung, ist die große Ausnahme; für die Kreatur selbst ist aber gezeugt zu werden meist ein negatives Glück. Sagt man es ketzerisch und überspitzt, muss man konstatieren, dass man zwar zum Autofahren einer Lizenz bedarf, ein Leben einem Lebewesen aufzuzwingen, ist hingegen jedermann gestattet.

Basis der allgemeinen Denkgewohnheit ist, dass mit Zusammenleben oder Heirat die Erzeugung von Kindern angezeigt ist, zumal viele Eltern ihren vermeintlichen moralischen Wert, indem sie Schöpfer spielen und „Leben schenken“, durch Kinder steigern. Kommt noch ergänzend hinzu, dass aus Gründen der Staatsräson eine Kinderproduktion befürwortet und finanziell belohnt wird, findet sich das Elternpaar als vorbildliches Glied der Gesellschaft wieder. Kinderlosigkeit wird nur bei Priestern, Homosexuellen und unfruchtbaren Paaren ohne Beigeschmack beurteilt, ansonsten tendiert die allgemeine Meinung leicht in Richtung „selbstsüchtig“.

Dem Kind wird zudem später die generative Frohbotschaft dergestalt vermittelt, dass es als gezeugtes, geschaffenes, geliebtes Wesen sein Leben als ein Geschenk zu sehen hat, das zu höchstem Dank verpflichtet. Ein Großteil der Eltern wendet sogar sehr viel Zeit auf, der eigenen Nachkommenschaft Leid zu ersparen, wobei der einzig verlässliche Weg, der Weg der Nichtexistenz, nicht in Betracht gezogen wird. Somit erzeugen Eltern Kinder, die leiden, diese Kinder erzeugen wiederum Kinder, die leiden, das Rad dreht sich ad infinitum. Wie könnten selbst bei späterer Einsicht Eltern erwarten, dass ihre Kinder keine Kinder zeugen, nachdem sie selbst ein schlechtes Beispiel abgaben? Alle Existierenden stehen auf dem momentanen Gipfel eines Berges aus Elend und Qual, der kontinuierlich Schicht um Schicht höher wird – die kosmische Manifestation von Leid, Verzweiflung, Angst und Tod.
Fazit ist aber, dass die Lebensschenker sich letztendlich egoistisch selbst beschenken und ihren Geschöpfen ein Leben aufzwingen, das auch im Falle eines glücklichen Daseins keinen Vorrang vor dem Nichtsein haben kann; die Belange des Kindes bleiben unberücksichtigt, sind sekundär oder nicht existent.

Aber die Problematik ist zu gravierend, um dauerhaft in der Region der Emotionen zu verbleiben; eine Hinwendung zu rationalem Verhalten, zu Logik und überlegten Argumenten ist gefordert. Letztendlich ist  Fortpflanzung, wie Benatar ausführt, „primitiv“, da instinktgetrieben. Die rationale Entscheidung, keine Kinder in eine ins Chaos abgleitende Welt zu entlassen, ist hingegen ein Zeichen der Reife und Überlegung, fortschrittlich, altruistisch, philanthropisch und lebensfreundlich, weil leidvermeidend gegenüber dem gezeugten Kind und lebensrettend gegenüber Natur und Tierwelt.


Emil Cioran bringt es auf den Punkt:“Wie weit es mit dem Rückschritt der Menschheit gekommen ist, dafür zeugt nichts so gut wie der Umstand, dass es nicht möglich ist, auch nur ein einziges Volk, einen einzigen Stamm zu finden, bei dem eine Geburt noch Trauer und Klagen hervorruft“.

Kernthesen zum Diktat der Geburt

• Jeder Geborene unterliegt einem Diktat der Geburt,
o ohne dass der Beschenkte über die Annahme entscheiden kann,

o ohne Berücksichtigung, dass der Beschenkte ohne „Geschenk“ nicht ärmer wäre und

o dass die Beschenkten noch nicht existierten, als sie beschenkt wurden, also keine Möglichkeit hatten, das Geschenk zu verweigern oder abzulehnen.

• Die „Lebensschenker“ beschenken sich letztendlich egoistisch selbst und zwingen ihren Geschöpfen ein Leben auf, das auch im Falle eines glücklichen Daseins keinen Vorrang vor dem Nichtsein haben kann.


Ethische Ergänzungen zum Antinatalismus – die tödlichen Folgen einer Menschengeburt

Schopenhauer - und in heutigen Tagen Benatar - sind  exponierte Protagonisten des Antinatalismus. Ausführlich haben sie die Wirkung des „coming into existence“ analysiert, sich primär aber auf reflexive Wirkungen, d.h. die Auswirkung auf die/den Geborene(n), beschränkt. Diese Analyse ist durch eine breitere Betrachtungsbasis zu ergänzen und mit den Folgen für die Natur und Tierwelt abzugleichen. „Was für ein zerstörungssüchtiges Wesen ist doch der Mensch, wieviel lebende Organismen mannigfachster Art vernichtet er, um sein eigenes Leben zu erhalten“. Mit diesen Worten verdichtet Tolstoi in seiner Erzählung „Hadschi Murat“ das folgende Thema in einem Satz.

Wirkungen auf die Natur - der ökologische  Fußabdruck

Der ökologische Fußabdruck ist ein Umweltindikator. Er bündelt zahlreiche Umweltdaten und Wirkungszusammenhänge zu einem einzigen Wert. Dadurch ermöglicht der ökologische Fußabdruck eine fortlaufende Beobachtung der globalen Auswirkungen anthropogenen Handelns auf die Umwelt; es können die Auswirkungen verschiedener Verhaltensweisen oder Lebensstile abgeschätzt werden.

Prof. William Rees und Dr. Mathis Wackernagel von der University of British Columbia in Kanada haben in den 1990er Jahren das Berechnungsmodell des ökologischen Fußabdrucks maßgeblich entwickelt.


Wackernagel definiert den ökologischen Fußabdruck als diejenige Fläche, die erforderlich ist, um den gegenwärtigen Lebensstil zu halten. Er berechnet ihn im globalen Durchschnitt in Hektar. Dazu addiert er die Acker- und Weideflächen, Wälder und Fischfanggebiete sowie überbaute Landflächen (Siedlungen, Industrieanlagen, Straßen usw.), mit denen ein bestimmter Lebensstandard einer bestimmten Bevölkerung, eines Landes, einer Region oder der ganzen Welt, aufrechterhalten werden kann. Weiterhin addiert er die Waldfläche, welche die Gesamtmenge des Kohlendioxids absorbieren könnte, die bei der Verbrennung fossiler Energieträger durch diese Bevölkerung entsteht. Anschließend werden all diese Formen von Land in Flächen durchschnittlicher biologischer Kapazität umgerechnet. In knappen Worten zusammengefasst, gibt der ökologische Fußabdruck den Umfang und die Art der Beanspruchung des Ökosystems unserer Erde durch den Menschen wieder.
Der durchschnittliche ökologische Fußabdruck  pro Person der Weltbevölkerung betrug im Jahr 2006  2,2 gha. Die Biokapazität und die Größe des ökologischen Fußabdrucks werden in globalen Hektar (gha, englisch: global hectare) angegeben.

Die Biokapazität der Erde betrug lediglich 1,8 gha pro Person. Daraus resultiert ein globales ökologisches Defizit von 22%. Nach den Studien des Global Footprint Network überschreitet der Verbrauch der Menschen die Tragfähigkeit der Erde seit etwa 1987, das heißt, seit 1987 ist die Nachfrage an Naturressourcen höher, als sie im gleichen Zeitraum von den unterstützenden Ökosystemen erneuert werden können.

Der ökologische Fußabdruck offenbart zwei zentrale Probleme:

• Naturverbrauch: Vor allem in den Industrieländern ist der Naturverbrauch zu hoch. Dort verbraucht die Bevölkerung überdurchschnittlich viele Ressourcen pro Person. Komplementär zu diesem Ressourcenverbrauch ist die Abnahme der weltweiten Biodiversität zu sehen, die im „Living Planet Index“ erfasst wird. Die Biodiversität wir wiederum an den Beständen von 1686 Wirbeltierarten in aller Welt gemessen, die allein in den letzten 35 Jahren um fast 30 Prozent abgenommen hat! (Living Planet Report 2008, WWF International)
• Bevölkerungswachstum: In den Entwicklungsländern ist der Naturverbrauch pro Person zwar noch sehr gering, die dortige Bevölkerung wächst aber so schnell, dass ihr Gesamtverbrauch an natürlichen Ressourcen verhältnismäßig stark ansteigt.
Aus dem Blickwinkel einer nachhaltigen Entwicklung hängen  zwei Problembereiche eng zusammen: Bevölkerungswachstum und Ressourcenverbrauch.
Um das Bevölkerungswachstum zu bremsen, muss die Armut in den Entwicklungsländern bekämpft werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Geburtenraten mit zunehmendem Wohlstand deutlich sinken. Eine Voraussetzung hierfür ist die gerechtere Verteilung der natürlichen Ressourcen. Die Erde kann den steigenden Naturverbrauch durch höhere Lebensstandards in den armen Regionen nämlich nur dann dauerhaft umweltgerecht befriedigen, wenn die wohlhabenden Teile der Weltbevölkerung ihre Eingriffe in die Naturlandschaft verringern.


Nach diesem Exkurs gilt es die Wirkung eines zusätzlich geborenen Menschen für das Weltganze zu betrachten.
Jeder Mensch benötigt - wie gezeigt -  2,2 gha Biokapazität für ein “normales“ Leben. In concreto bedeutet diese Zahl, dass 2,2 gha bisher unberührte  Natur für jeden zusätzlichen Menschen verbraucht werden. Heute, im Jahr 2010, wächst die Erdbevölkerung um ca. 80 Millionen neue Menschen jährlich, was einem geschätzten Naturverbrauch von ca. 176 Millionen gha pro Jahr entspricht!

“Die kriminelle Aufforderung der Genesis: „Wachset und mehret euch“, konnte nicht aus dem Munde des guten Gottes gekommen sein. Seid selten, hätte er vermutlich empfohlen, wenn er mitzureden gehabt hätte. Niemals hätte er ferner jene unheilvollen Worte hinzufügen können: „Und macht euch die Erde untertan“. Man sollte sie sogleich ausmerzen, um die Bibel von der Schmach zu reinigen, sie aufgenommen zu haben. Das Fleisch wuchert immer mehr wie ein Gangrän auf der Erdkruste. Es vermag sich keine Grenzen zu setzen, es wütet trotz allen üblen Erfahrungen, es hält seine Niederlagen für Eroberungen, es hat niemals etwas gelernt“ präzisiert Emil Cioran in „Die verfehlte Schöpfung“ die Konsequenz.

„Die Inanspruchnahme des Planeten durch die Menschheit hat sich in den letzten 45 Jahren mit dem Bevölkerungswachstum und steigendem individuellem Konsum mehr als verdoppelt“ ist im Living Planet Report zu lesen. Aus diesen Daten resultiert die desaströse Aussage und Prognose- so ist weiter dem Bericht zu entnehmen- dass noch 1961 fast alle Staaten über ausreichende Kapazitäten verfügten, den eigenen Bedarf zu stillen, ca. ab dem Jahr 2030 aber bereits theoretisch zwei Erden gebraucht werden, um mit der menschlichen Güternachfrage und Expansion Schritt zu halten.

Der resultierende Naturverbrauch aus der Menschenvermehrung stellt aber Lebensraumvernichtung nichtmenschlicher Lebewesen dar mit der Folge, dass eine Verdrängung und Vernichtung von tierischem Leben in unvorstellbarem Ausmaß weltweit stattfindet, die bisherige Welt in eine Menschenwelt umstrukturiert wird.
So ist die, zumindest in unserem Kulturkreis, meist gezeigte Freude über die Geburt eines Kindes ein Todesurteil für zahlloses,  nichtmenschliches  Leben. „Des Lebens Name ist zwar Leben, sein Werk aber ist Tod“ sagt  Heraklit (Etymologicum magnum; auch Eustathios ad Iliad.I, p.31)und beschreibt treffend das menschliche  Vernichtungswerk.
Fast 2500 Jahre nach Heraklit – das menschliche Vernichtungswerk hat inzwischen apokalyptische Dimensionen erreicht – beschreibt Emil Cioran den gleichen Sachverhalt in einem Epigramm: „Das Verschwinden der Tiere ist ein unvergleichlicher, schwerwiegender Tatbestand. Ihr Henker hat die Landschaften besetzt. Es gibt nur noch Raum für ihn. Das Entsetzen, dort einen Menschen wahrzunehmen, wo man zuvor ein Pferd betrachten konnte!“


Kernthesen zur Wirkung auf die Natur

• Der durchschnittliche ökologische Fußabdruck  pro Person der Weltbevölkerung betrug im Jahr 2006  2,2 gha. Die Biokapazität der Erde betrug lediglich 1,8 gha pro Person. Daraus resultiert ein globales ökologisches Defizit von 22%.
• Im Jahr 2010, wächst die Erdbevölkerung um ca. 80 Millionen neue Menschen jährlich, also mit einem Naturverbrauch von ca. 176 Millionen gha pro Jahr.
• Noch 1961 verfügten fast alle Staaten über ausreichende Kapazitäten, den eigenen Bedarf zu stillen, ca. ab dem Jahr 2030 werden aber bereits theoretisch zwei Erden gebraucht, um mit der menschlichen Güternachfrage und Expansion Schritt zu halten.

Wirkung auf die Tierwelt – der gelebte Massenmord

Nachdem die Aussage zum ökologischen Fußabdruck die Wirkung einer
z u s ä t z l i c h e n menschlichen Existenz, also das Nettowachstum, beschreibt, ist im Folgenden die Wirkung  j e d e r  einzelnen menschlichen Existenz auf Tierwelt und Natur - im statistischen Durchschnitt betrachtet -  angesprochen.

„Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
 Die Weihnachtsgeschichte aus Lk. 2, 10-11, die dem Menschen Tröstliches, Erfreuliches  verspricht, müsste aus tierischer Sicht völlig anders lauten und könnte wie folgt umgeschrieben werden, wie die spätere Analyse zeigt:
„Und der Engel sprach zu den Tieren: Fürchtet euch sehr! Siehe, ich verkündige euch großes Elend, das der gesamten Tierwelt widerfahren wird;
denn euch ist heute wieder ein Mensch geboren, welcher ist für euch der Schlächter, der Leidensbringer, in der Stadt eures Elends“.


Reale Vernichtung von Leben

„Auf internationaler Ebene legte jetzt die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO eine Prognose vor, laut der die weltweite Fleisch-»Produktion« von derzeit 228 Millionen Tonnen auf 463 Millionen Tonnen im Jahr 2050 steigt. Die einzelne Kreatur zählt längst nicht mehr bei solcher Gigantomanie. Die FAO warnt angesichts dieser Entwicklung vor Umweltzerstörung, Klimaschäden und Krankheiten. Vom Leid der Tiere, von Zerstörung der Humanitas angesichts eines andauernden, globalen Blutbades ist nicht die Rede“ schreibt Ingolf Bossenz treffend.

Heute sterben für dieses Massaker 50 Milliarden Tiere (ohne Fische) jährlich, was einer Todesquote von ca.1600 Tieren/sec. entspricht.
Für das Jahre 2010 weist die Statistik aus, dass der deutsche Bürger im Laufe seines Lebens durchschnittlich 1094 Säugetiere und Vögel, also vier Kühe oder Kälber, vier Schafe, zwölf Gänse, 37 Enten, 46 Truthähne, 46 Schweine und 945 Hühner verspeist. Hinzu kommen noch zahlreiche Tiere, die von der Statistik nur unzureichend erfasst werden, wie beispielsweise Wildtiere.

Der Fischkonsum liegt im gleichen Zeitraum in Deutschland bei 15,6 kg Fisch pro Kopf. Eine Umrechnung in einzelne Fische ist schwierig, ergibt sich aber näherungsweise, wenn man als Basisfisch den Hering nimmt. Der durchschnittlich gefangene Hering wiegt ca. 200 gr, so dass sich, betrachtet man nur das Nettogewicht, ein Verbrauch von ca. 100 Fischleben pro Bewohner und Jahr hinter der Zahl von 15,6 kg verbergen. Hochgerechnet entspricht das bei einem Menschenleben von angenommenen 80 Jahren einem Vernichtungspotential von ca. 8000 Fischleben; Krustentiere und Meeresfrüchte sind dabei völlig unberücksichtigt geblieben.

Summa summarum erlauben diese Zahlen, trotz aller Unwägbarkeiten und statistischer Ungenauigkeiten, die Aussage, dass in Deutschland einem einzigen Menschenleben ca. 9000 bis 10.000 Tierleben zum Opfer fallen. Jonathan Foer nennt in seinem Buch „Tiere essen“ für den amerikanischen Verbraucher die apokalyptische Zahl von 21.000 Tieren.
Nach Vorstehendem  zwingt sich die weitere Folgerung auf, dass jedes Elternpaar, das neues Leben in die Welt setzt oder setzen will, den Tod und den Leidensweg von mehreren Tausend tierischen Wesen, die dem Menschenwesen in Leidensfähigkeit kaum nachstehen, billigend in Kauf nimmt, sogar von Lebewesen, die dem Menschen genetisch eng verwandt sind.  Betrachtet man gar das Schwein, ist seine genetische Abweichung vom Menschen äußerst minimal, ihm ähnlicher als der Schimpanse. Trotzdem werden allein in Deutschland jährlich 51 Millionen Schweine geschlachtet.

Diese Eltern setzen de facto das Wohl ihrer Nachkommenschaft über das Wohl Tausender  anderer Lebewesen, sie handeln ethisch und moralisch verantwortungslos,  egozentrisch und kaltblütig. Jede neue Menschenexistenz ist der Quell unglaublichen Leides, eine Kriegserklärung an die nicht-menschliche Tierwelt. Wer billigend ein weiteres Menschenleben produziert, produziert synchron tausendfachen Tod, der vermeintliche Lebensschenker ist ein Vernichter, der Lebenserzeuger ist ein Leidproduzent par excellence!

Dieser stringenten Analyse wird üblicherweise als Argument entgegengesetzt, dass „Fressen und Gefressen werden“ ein immanenter Vorgang im Naturgeschehen sei. Dem ist im Grundsatz  Zweierlei zu antworten.

Viele Menschen würden sich vegetarisch ernähren, wenn sie die Tiere, die sie essen, selbst töten müssten. Davor, dass andere das für sie erledigen, verschließen sie gern die Augen. Täter ist aber nicht nur der Ausführende, Täter ist insbesondere der Auftraggeber!

Mit Heranziehung des Argumentes „Fressen und Gefressen werden“ wird ein gravierender Bruch im Denken, ja geradezu eine schizophrene Wahrnehmungsspaltung dokumentiert. Ist es sonst üblich, auf die „überlegene“ Denkweise des Menschen Argumente zu bauen, stellt man sich mit diesem Argument auf einmal auf die gleiche Vernunftsebene zum Tier und leugnet seine sonst massiv betonte intellektuelle Überlegenheit.

Der Mensch ist jedoch in der Lage, präziser, s o l l t e  jedoch in der Lage sein, seine Entscheidungen jenseits des Instinkts bewusst und verantwortungsvoll zu treffen und auch über die Folgen seiner Handlungen zu reflektieren, d.h. er hat im Gegensatz zum Tier eine  moralische Wahlmöglichkeit für seine Handlungen.
Nimmt er diese Wahlmöglichkeit nicht wahr, kann das zweierlei Ursachen haben.
Entweder weiß er nicht um die Folgen seines Handelns, dann ist er dumm und seine anthropozentrisch begründete Überlegenheit obsolet.
Oder er weiß um die Folgen seines Handelns und nimmt sie trotzdem in Kauf, dann ist er ein moralisches Monster jenseits jeder ethisch-philosophischen Höherentwicklung.


Kernthesen zur realen Vernichtung von Leben

• Der deutsche Bürger verspeist im Laufe seines Lebens durchschnittlich 1094 Säugetiere und Vögel, also vier Kühe oder Kälber, vier Schafe, zwölf Gänse, 37 Enten, 46 Truthähne, 46 Schweine und 945 Hühner
• Der Fischkonsum liegt im Jahr 2008 in Deutschland bei 15,6 kg Fisch pro Kopf und Bewohner, was bei einem Menschenleben von angenommenen 80 Jahren einem Vernichtungspotential von ca. 8000 Fischleben bedeutet; Krustentiere und Meeresfrüchte  sind dabei völlig unberücksichtigt geblieben.
• Summa summarum erlauben diese Zahlen, trotz aller Unwägbarkeiten und statistischer Ungenauigkeiten, die Aussage, dass einem einzigen Menschenleben in Deutschland ca. 9000 bis 10.000 Tierleben zum Opfer fallen. Für Amerika nennt Jonathan Foer die Zahl von 21.000 Tiere

Potentielle Vernichtung von Leben

Nach der Betrachtung der mörderischen Wirkung auf die nicht-humanen Lebenswelten noch ein kurzer Streifzug durch potentielle  Auswirkungen innerhalb der Menschenwelt.
Glücklich ist das neugeborene Leben, wenn es bis zu seinem Lebensende kein anderes menschliches Leben vernichtet hat. Die Möglichkeiten hierfür sind vielfältigster Art. Angefangen von einem verschuldeten Unfall bis zum anonymen Massenmord hinter dem Steuerknüppel eines Bombers, angefangen bei einer kriminellen Handlung bis hin zu einer lebensvernichtenden – eventuell sogar staatstragenden Erfindung - wie der Atombombe. Das Vernichtungspotential jeder neuen Existenz ist immens, auch wenn die glücklichen Eltern es ausblenden. Es ist schwer vorstellbar, dass beispielsweise Eltern eines Amokläufers nicht im Nachhinein von Zweifeln an ihrer Entscheidung für ein Kind geplagt werden.


Unbewusste Vernichtung von Leben

Tötet  in vorstehender Diskussion der Mensch in voller Verantwortlichkeit, zieht sein „coming into existence“ einen Leidensweg weiterer Lebewesen nach sich, die unbewusst, fast in aller Unschuld, ausgelöscht werden. Er tötet mittelbar vergleichbar gnadenlos, wie durch seine unmittelbare Handlungen zur Nahrungsbeschaffung.
• Der Mensch tötet durch  Mobilität

Ob er beim Spaziergang Käfer, Schnecken, Würmer  etc. zertritt, ob bei einer  Autofahrt Unmengen von Insekten an der Autoscheibe zerschellen, ob er versehentlich einen Igel, Vogel oder ein anderes Tier überfährt – allein durch seine Mobilität tötet der Mensch, wenn auch meist in aller Unschuld.

• Der Mensch tötet durch Bebauung
Der Bau eines Hauses, eines Weges, einer Mauer, einer Straße, eines Staudamms, einer Fabrik vernichtet den Lebensraum zahlloser Kleinlebewesen im Erdreich und in der Umgebung, der bis zum Erscheinen des Menschen ihr Lebensraum war. Selbst eine spätere Auflassung solcher Anlagen beseitigt nicht die irreversible Vernichtung.
• Der Mensch tötet durch seine Ernährungsgewohnheit
Ohne die massiven Futtermittelimporte aus der sogenannten 3. Welt könnten unsere konsumierten Fleischmengen überhaupt nicht produziert werden. Alle sieben Sekunden stirbt irgendwo auf der Welt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger, weil diese Pflanzennahrung fehlt. 826 Millionen Menschen sind permanent schwer unterernährt (Jean Ziegler/UN, 2003). Auf den landwirtschaftlichen Flächen dieser Regionen wird pflanzliche Nahrung angebaut und als Futtermittel in die Industrieländer gebracht, um hier zur „Veredelung“ für Mastfutter zu dienen: Verelendung durch „Veredelung“.

Der südamerikanische Regenwald (auch „Lunge der Welt“ genannt) wird gerodet, um Anbauflächen für Futtermittel sowie Weideflächen zu schaffen. Die Zerstörung von Gebieten, um ein vielfaches größer als Deutschland, ist die Folge. Der Wasserhaushalt, das Klima und der Kohlendioxidgehalt der Luft werden nachhaltig verändert. Zehntausende von Pflanzen- und Tierarten werden ausgelöscht. (Quelle: Deutscher Vegetarierbund)
Zusätzlich zerstört massiver  Einsatz von Pestiziden auf landwirtschaftlichen Flächen nachhaltig Mikrowelten  und Lebensräume zahlloser Insektenarten, Käfer, Schmetterlingen, bis hin zur Ausrottung von kleineren Tieren wie Hamster, Hase etc.

• Der Mensch tötet durch seine Lebensgewohnheit
Sei es bei der Exploration nach Bodenschätzen oder  im Tierversuch für Medikamente und Kosmetika, sei es durch Verbrauch von Tropenholz oder durch „Vergnügungen“ wie Jagd, Angeln, Stierkampf etc., sei es durch Vermüllung von Landschaften und Meeren oder durch Vergiftung der Atmosphäre - der Weg des Menschen ist ein Weg der Vernichtung, der Ausbeutung, des Todes.
Der Einfluss des Menschen und seiner Konsumsektoren (Energieverbrauch, Verbrennung fossiler Brennstoffe, Verkehr, Wasserverbrauch, Produktion von Fleisch und Fisch, von Nahrungs- und Ölpflanzen sowie Nutzholz) führt zu Bedrohungen und Gefährdungen der Biodiversität über die Faktoren Lebensraumverlust, Übernutzung, Verschmutzung und Klimawandel.

Sein Fortschreiten in der Welt hinterlässt eine unendliche Straße des Leides, des Elends, der Angst, der Verzweiflung, der Vertreibung, der Vernichtung, der Zerstörung und Ausrottung, insbesondere  bei allen nichtmenschlichen Lebewesen. Der gnadenlose Untergangsweg ausufernder Menschenmassen führt über die Vernichtung der Pflanzenwelt, zur Auslöschung der Tierwelt und macht auch vor der eigenen Spezies nicht Halt; ca. 29.000 Kinder sterben täglich den Hungertod!

Kernthese zur potentiellen und unbewussten Vernichtung von Leben

• Neben der Möglichkeit, fremdes Leben aufgrund bestimmter Schicksalskonstellationen zu vernichten, tötet ein Mensch zahlreiche weitere Kreaturen durch Mobilität, Bebauung, Ernährungs- und Lebensgewohnheit.

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