Mittwoch, 24. Februar 2010

Klare Worte von Jutta Ditfurth zur Wirtschaftskrise


Weshalb ich mich mit Jutta Ditfurth beschäftigt habe, dies liegt daran, daß wir beide an einem gleichen Thema gearbeitet haben: Dr. Werner Meinhof, der Vater von Ulrike Meinhof. Jutta Ditfurth kam allerding zu einer anderen Einschätzung Dr. Werner Meinhofs als ich. Sie warf ihm vor Mitglied der NSDAP gewesen zu sein und deshalb sprach sie ihm ab ein Mann des Widerstands gewesen zu sein. Ich sehe das anders, klar war Meinhof Mitglied der Partei, aber aus dieser Position heraus war es ihm erst möglich Widerständlern zu helfen. Als Museumsdirektor hatte er dazu die Mittel. Es ist nicht zu leugnen, daß Meinhof dem Widerstandskreis der Schüler um Prof. Paul Frankl angehörte und deren Mitglieder machten ihm die Parteimitgliedschaft nie zum Vorwurf. Gerade Dr. Walter Timmling konnte durch Dr. Meinhofs Engagement bis 1938 überleben, trotz Berufsverbot! Die Unterstützung Meinhofs für Timmling riß nie ab, obwohl ihm das, wäre es bekannt geworden, Kopf und Kragen gekostet hätte, denn gerade von Parteimitgliedern wurde die Distanzierung von mit Berufsverbot belegten Personen gefordert.

Trotz dieser Meinungsverschiedenheit mit Jutta Ditfurth schätze ich sie sehr als aufrechte Publizistin und Politikerin, die ihren Idealen treu geblieben ist, die nicht wie die meisten ehemaligen Grünen jetzt das Gegenteil an Politik betreiben was sie damals vehement propagiert haben. Nachfolgende Rede von Jutta Ditfurth stammt von 2009, ist aber aktueller denn je.


Redebeitrag auf dem sozialrevolutionären und antinationalen Block auf der Krisen-Demo am 28.3.2009 in Frankfurt/Main URL dieses Artikels auf Tlaxcala: http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=7316&lg=d
Ein tollkühner Plan namens soziale Revolution

Jutta DITFURTH

Kürzlich bat ein IG-Metall-Funktionär in der Tagesschau die Bundesregierung, wieder »ordentliche Verhältnisse« herzustellen. Was für ein grundlegender Irrtum über das Verhältnis von Staat und Kapital. Und: Ist der »Normalzustand« des Kapitalismus nicht schon mörderisch genug? Der Multimilliardär Warren Buffett sagte zwei Jahre vor der Weltwirtschaftskrise zur New York Times: »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.«Jetzt, mit der Weltwirtschaftskrise, geht der Krieg in eine neue, härtere Phase.Natürlich versuchen die Herrschenden, möglichst viele Krisenfolgen in den Trikont, in die sogenannte Dritte Welt zu verschieben. Allein in China wird es Ende des Jahres 40 Millionen arbeitslose Wanderarbeiter geben, die ihre Familien nicht mehr ernähren können. Nahrungsmittelprogramme von UN-Hilfsorganisationen für afrikanische Staaten wurden letztes Jahr schon halbiert. Die Befriedung des deutschen Untertanen funktioniert durch Konsum und Repression. Hundertausende von Leiharbeiter sind in wenigen Wochen geräuschlos entsorgt worden. Keine Solidaritätsstreiks, keine wilden Streiks, nichts. Mehr als eine Million Kurzarbeiter werden im Herbst arbeitslos. Sofern sie sich nicht in ihr »Schicksal« und in Hartz IV ergeben, wird die soziale Frage mit Hilfe von Armee, Polizei und Justiz »gelöst«, notfalls mit Heimen, Sicherheitsverwahrung und Psychiatrien. Die soziale Ordnung in Deutschland bleibt eine Gefängnisordnung.

Während Staatschefs uns einreden wollen, dass sie in unserem Interesse agieren, handeln sie in Wahrheit im Interesse der hinter ihnen stehenden Kapitalfraktionen. Der Zugang zu Energiereserven ist zentral in der innerkapitalistischen Konkurrenz. Auch deshalb – Weltwirtschaftskrise hin und Massenelend her – rüstet die USA für den Krieg in Afghanistan auf.Wird es den kapitalistischen Zentren gelingen, ihre wachsenden Ghettos unter Kontrolle zu halten und einen größeren Teil ihrer Mittelschicht vor dem Absturz zu retten? Falls ja: zu welchem Preis und auf wessen Leichenbergen? Mehr Menschen als bisher werden unter den Augen auch deutscher Polizisten im Mittelmeer ertrinken, bevor sie europäische Küsten erreichen. Und wir: Finden wir die strategischen Punkte der Schwäche im System, um es zum Absturz zu bringen?Diese Weltwirtschaftskrise hat enorme Vorteile für den Teil des Kapitals, der die Krise überstehen und seine Konkurrenten fressen kann. Das Kapital nutzt die Krise und entledigt sich der restlichen sozialen und demokratischen Menschenrechte und der ökologischen Erfordernisse aller Art und was sonst noch die Profite behindert.Soziales Elend bringt keine automatische Linksentwicklung, schon gar nicht hier.

Im autoritären Deutschland hat linker Widerstand keine erfolgreiche Tradition. Ein emigrierter Jude, vor deutschen Mördern geflohen, brachte erst in den 1960ern das Recht auf »résistance« nach Deutschland zurück. Herbert Marcuse sagte: »Ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein ›Naturrecht‹ auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben…«. (Repressive Toleranz, 1964)Unsere Gegner werden in diesem Jahr versuchen die Ideologie der »nationalen Schicksalsgemeinschaft« zu beschwören. Aber die deutsche Nation steht immer gegen soziale Gleichheit aller Menschen, gegen die Freiheit von Ausbeutung, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus. Sie kennt weder grenzenlose Solidarität noch umfassende gesellschaftliche Emanzipation. Ein menschenwürdiges Leben für alle ist nur in einer Gesellschaft ohne Lohnarbeit und Kapital vorstellbar und ohne das grenzenlose Wachstum des kapitalistischen Wirtschaftens mit seinem Zwang zu Profit, Konsum und Konkurrenz. Um das große Ziel zu erreichen, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, wie Karl Marx es formulierte, ist die herrschende Ordnung zu erschüttern. Es ist die schönste vorstellbare Utopie, in einer Welt zu leben, in der alle Menschen, die Chance haben, ihr ganzes soziales, intellektuelles und kreatives Potenzial frei zu entfalten.Organisieren wir Proteste und Aktionen, werfen wir Widerhaken in die Risse, in die flüchtigen Zeitfenster, bevor die mörderische alte Ordnung sie wieder zuschmiert. Es gilt der alte Dreiklang: Theorie, Aktion, Organisation. Theorie: Kopfarbeit, lesen, denken, streiten, klüger werden.Ohne Praxis & Aktion droht aber der Theorie der Elfenbeinturm. Der theorieblinden Praxis wiederum droht die Sektierei oder die Kriminalisierung. Also Aktion und Theorie. Was sind beide aber ohne Organisierung? Organisierung ist im Land der unverbindlichen, von Mittelschichtskids geprägten »Netzwerke« auch so ein Tabu, das den Herrschenden gefällt. Bündnisse funktionieren nicht unterhalb eines gewissen Niveaus.Wir sollten nicht unterschlagen, dass wir das Ziel haben, den Kapitalismus abzuschaffen. Das geht nicht mit sozialdemokratischen Organisationen, egal ob SPD oder Linkspartei. Das ist klar – seit der SPD/Linkspartei-Koalition in Berlin, seit dem Deutschen Herbst, seit den Notstandsgesetzen, seit Ebert und Noske, seit der verratenen Novemberrevolution von 1918/19 und den Kriegskrediten von 1914. Bündnisse der antikapitalistischen und staatsunabhängigen Linken sind: antinationale und reformismusfreie Zonen!Das klassische revolutionäre Subjekt, die Arbeiterklasse mit einem kollektiven Bewusstsein ihrer sozialen Lage, existiert nicht mehr. Unsere potenziellen Bündnispartner sind: Migranten, Subproletarierinnen, Straßenkinder, Facharbeiter, Schüler, Studentinnen, Leiharbeiterinnen, Künstler, Hartz-IV-Empfänger, Intellektuelle. Es ist mühsam, aber auch ziemlich interessant über den spießigen Tellerrand des eigenen Milieus zu schauen. Man kann mit Leuten Revolte machen, die nicht die gleiche Musik mögen wie man selbst. Aber, ich gestehe die Grenzen meiner Toleranz ein: Volksmusik, Operette und Marschmusik sind auf ewig ausgeschlossen.Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die auf Solidarität aufbaut und auf sozialer Gleichheit, in der es keine Ausbeutung und keine Herrschaft von Menschen über Menschen mehr gibt, eine Gesellschaft, in der wir basisdemokratisch entscheiden, wie wir leben und arbeiten wollen. Das ist ein tollkühner Plan. Den Weg, durch den wir dieses Ziel erreichen könnten, nennen wir soziale Revolution. Und wie wird die Sache ausgehen? Das soll Marx beantworten: »Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen werden würde.

«Weitere Informationen:www.jutta-ditfurth.de + www.oekolinx-arl.de + www.oekologische-linke.de

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