Montag, 16. Juli 2018

Heinrich Seidel (1842-1906): Bei Goldhähnchens


Mehr durch Zufall stieß ich vor ein paar Jahren auf Heinrich Seidels Roman „Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande“, wahrscheinlich angesprochen durch den Schutzumschlag mit der abenteuerlich anmutenden Illustration einer Bootsüberfahrt zu einer Insel. Deshalb bilde ich auch in meinem Scan den ganzen Schutzumschlag ab, da dieser in der Gesamtansicht mich zum Kauf dieses Buches anregte. Fahrten zu Inseln oder Aufenthalte auf kleinen Inseln haben immer etwas faszinierendes für mich, ich denke da nur an Stevensons „Schatzinsel“ oder Greulichs „Robinson spielt König“. Nun ist es bei Seidel zwar nicht die weite Welt wo die Reise hingeht, sondern nur die mecklenburgische Seenplatte, wo mitten in einem See eine geheimnisvolle, aber auch heimelige Insel liegt, auf der sich gut leben läßt. Dies liest sich wunderbar in der Schilderung plattdeutschen Alltagslebens in der Zeit von vor über 100 Jahren.

Heinrich Seidel (1842-1906): https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Seidel war auch bekannt wegen seiner zauberhaften Gedichte. Seidels „Frühlingsgedicht“ hatte ich vor ein paar Jahren schon mal in einem Blogbeitrag verwendet, wo ich meinen Garten im Frühling vorstellte, siehe:
 

 
 
Zauberhaft finde ich auch Seidels Gedicht „Bei Goldhähnchens“:

Bei Goldhähnchens war ich jüngst zu Gast!
Sie wohnen im grünen Fichtenpalast
In einem Nestchen klein
Sehr niedlich und sehr fein.

Was hat es gegeben? Schmetterlingsei,
Mückensalat und Gnitzenbrei
Und Käferbraten famos –
Zwei Millimeter groß.

Dann sang uns Vater Goldhähnchen was,
So zierlich klang's wie gesponnenes Glas,
Dann wurden die Kinder besehn:
Sehr niedlich alle zehn!

Dann sagt' ich: »Adieu!« und: »danke sehr
Sie sprachen: »Bitte, wir hatten die Ehr',
Und hat uns mächtig gefreut
Es sind doch reizende Leut'!
 

 
Goldhähnchen, mir unbekannter Fotograf
 
Es ist doch beachtenswert, daß in einer Zeit des Mangels und des Hungers, 1946, dieses Gedicht in einem kleinen Gedichtbüchlein des „Knabe-Verlages“, Weimar, veröffentlicht wurde (Grafiken von Hertha Ruhrmann). In dieser Zeit dürstete man nicht nach trivialer reißerischer Literatur, sondern nach Poesie, die das Leben erhellte. Heute liest leider die dumpfe Masse kaum noch stimmungsvolle Gedichte, in einer Zeit der Reizüberflutung und der Oberflächlichkeiten. Ja, wer kennt heute überhaupt noch Goldhähnchen, diese heimische Vogelart, von der es zwei Arten in Deutschland gibt, die Sommergoldhähnchen und die Wintergoldhähnchen? Mittlerweile sind diese Vögel, wie viele andere Wildtiere, besonders Vögel und Insekten, fast ausgerottet in Deutschland, da der Mensch, die mißratene Dornenkrone der Schöpfung, sich immer mehr ausbreitet und die Tier-und-Pflanzenwelt kaputt macht.

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