Samstag, 14. Juli 2018

Schrittmacherball 1969 in Leipzig - Tummelpatz der Cliquen an der Macht der DDR


Sie geht noch immer tadellos, meine Uhr aus dem Jahre 1969, die ich gebraucht gekauft hatte. Das ist kein Wunder, denn sie ist von Glashütte und das sagt alles. Das besondere an ihr ist der Aufdruck auf dem Zifferblatt: „Interhotel „deutschland“ Leipzig - Schrittmacherball 17. - 19. Januar 1969“.
„Schrittmacher“, das war eine dieser vielen Kampagnen der SED um noch mehr aus den Werktätigen der DDR heraus zu holen. Schrittmacher sollten Werktätige sein, die durch Neuerungen, durch Materialeinsparungen, durch neue Technik und durch höhere Arbeitsleistungen die Planziele der Wirtschaft erreichen und möglichst überbieten sollten. Um dieser Kampagne, die 1967 startete, ein Gesicht zu geben, da erkor man einen jungen Volkskammerabgeordneten der FDJ-Fraktion, der strammer SED-Genosse war, dazu aus, die Kampagne zu starten. Man tat so, als wenn es seine Idee gewesen wäre.
Bernd Schröder, Abgeordneter der Volkskammer der DDR, Ingenieur im BKW, Bez. Halle, während seiner Diskussionsrede 1967, zur theoretisch-propagandistischen Konferenz "Jugend und Roter Oktober", wo er die Schrittmacher-Bewegung vorstellte.
Fotograf: Ernst Hübsch

Mit großem Brimborium wurde diese Schrittmacherbewegung propagiert, dazu gab es Konferenzen in den Bezirken, die zum Teil mit einem „Schrittmacherball“ endeten. Da tummelten sich dann kaum echte Rationalisierer, sondern SED-Bonzen und sonstige Cliquen an der Macht. Auch im Bezirk Halle fand 1969, ein paar Tage später (22.-23.1.) als der Schrittmacherball in Leipzig, eine Konferenz der Schrittmacher statt, an der sage und schreibe 700 Vertreter sozialistischer Brigaden sowie leitende Partei-, Wirtschafts- und Gewerkschaftsfunktionäre teilnahmen, alles unter dem Motto zu Ehren des 20. Jahrestages der Gründung der DDR. Das normale Volk mußte derweil arbeiten, während die SED-Schmarotzer und Cliquen an der Macht sich auf Konferenzen herum trieben und es sich wohl sein ließen bei Bällen in Interhotels.
 
Spätestens seit 1960 war die DDR vom Aufbau des Sozialismus abgewichen, war revisionistisch entartet, nur kleinbürgerliche Karrieristen wurden noch Mitglied der SED, um an die Futtertröge der DDR zu kommen und sie plapperten die hohlen Phrasen der Herrschenden nach, wo es um das Wohl des Volkes ging, in Wahrheit aber man das Wohl der SED-Bonzen im Sinn hatte.

Die Schrittmacherbewegung mündete nach ein paar Jahren ihres Bestehens in das „Neuererwesen“ ein. Jeder Betrieb hatte einen Neuererbeauftragten der Verbesserungsvorschläge entgegen nahm und prüfte und dann eventuell mit Prämien bedachte. Diese Neuererbeauftragten waren bei etwas größeren Betrieben hauptberuflich tätig. Von Spontaniät war von Anfang an keine Rede. Die Orden und Auszeichnungen wurden nicht an die klügsten Köpfe und tüchtigsten Arbeiter ausgeteilt, sondern an SED-Leute, die der Staatspropaganda nach dem Mund redeten. Daß so ein System noch über 30 Jahre (von 1960 an) bestehen konnte, war nur dem Druck und Terror der Herrschenden zu verdanken und natürlich den Panzern der Russen.
 
 

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