Dienstag, 14. Juli 2020

Leserpost zu den Dennhardts, Schulstraße 5, in Dessau-Ziebigk

Betrifft diese Blogbeiträge:

http://barrynoa.blogspot.com/2010/02/der-mord-meinem-onkel-albert-vor-90.html

http://barrynoa.blogspot.com/2013/02/mein-urgrovater-max-dennhardt-und-die.html

http://barrynoa.blogspot.com/2014/07/das-zerwurfnis-von-max-dennhardt-mit.html

http://barrynoa.blogspot.com/2013/02/erinnerungsstucke-meinen-urgrovater-max.html





Diese Email erhielt ich dieser Tage:

Werter Herr Nowack, ich schreibe Sie mal an, da ich auf Ihre Artikel über Ihren Urgroßvater gestoßen bin, der in der Ziebigker Schulstraße sein Haus hatte. Das interessierte mich, weil ich als Kind auch in der Schulstraße wohnte. Ich kannte Ihre Tante Therese Dennhardt, die wohl eine Tochter Ihres Urgroßvaters war? Mir ist sie in Erinnerung als immer dunkel gekleidete alte Frau, die zu uns Kindern immer freundlich war, die aber selten außer Haus ging, aber oft aus dem Fenster schaute. Mich haben Ihre Artikel sehr gerührt über den Mord an Ihrem Onkel Albert und die Ungerechtigkeit die Ihrem Urgroßvater widerfuhr. Als Kinder wußten wir davon nichts. Vielen Dank für die Informationen.
Liebe Grüße 
Annegret Münch 

Liebe Frau Münch!

Es freut mich, daß in Ihnen Kindheitserinnerungen wach wurden. Gern kläre ich Sie auf über die Familienverhältnisse der Dennhardts. Zuerst, es stimmt, meine Tante Therese, nur genannt „Rese“, war eine Tochter meines Urgroßvaters Max und meiner Urgroßmutter Anna, geborene Dolge. Um noch einmal Klarheit zu schaffen: Mein Urgroßvater Max und sein schäbiger Bruder Oscar, welcher das Erbe seines kleinen Bruders Max für sich verwandte und eine Druckerei mit diesem Geld erwarb, die noch heute im Westen besteht, waren mit den beiden Afrikaforschern und Kolonialherren Clemens und Gustav Denhardt, wie folgt verwandt: sie waren Cousins! Über Wituland und die beiden kann man in vielen Blogbeiträgen bei mir lesen. 

Meine Urgroßeltern hatten 8 Kinder, ein Wahnsinn auch in der damaligen Zeit und unverantwortlich von Max gegenüber seiner Frau Anna, welche durch die enorme Belastung auch nicht alt wurde, sie starb an einem Schlaganfall. Obwohl mein Urgroßvater selbst keine gute Kindheit hatte, von seinem um 10 Jahre älteren Bruder so schändlich betrogen wurde, siehe die beiden oberen Bloglinks, war auch er nicht frei von Ungerechtigkeiten gegenüber seinen Kindern. Er hatte 8 Kinder, davon 4 Jungs und 4 Mädchen: Oskar, Franz, Albert (als 3jähriger gestorben), Albert (als 15jähriger ermordet), Martha, Margarete, Therese (seine Lieblingstochter), Gertrud (meine Oma). 

Eine große Ungerechtigkeit war, als Therese, die Frau die Sie von der Schulstraße her kennen, ungewollt schwanger wurde und sie den Erzeuger nicht preisgab. Daß mein Urgroßvater Max (seine Frau, meine Urgroßmutter, war da schon tot) da kein großes Drama draus machte, war zu dieser Zeit nicht selbstverständlich und ihm positiv anzurechnen. Aber er wälzte die ganze Arbeit mit der Betreuung der geborenen Tochter, meiner Tante Hilde, auf meine Großmutter Gertud ab, die damals erst 17 Jahre alt war und gerade eine gute Stellung bei einem Baron in Luckenwalde bekommen hatte. Er ordnete an, und das konnte er als Erziehungsberechtigter, daß meine Oma die Stellung aufzugeben hätte, um die kleine Hilde aufzuziehen. Meine Tante Therese war so raffiniert meinem Urgroßvater einzureden, daß es besser sei, daß sie weiter arbeiten gehen solle, was gutes Geld einbringen würde und die 17jährige Schwester sich um das Kind kümmern solle. 

Therese ging also den ganzen Tag arbeiten und meine Oma hatte ein Kleinkind am Hals, war nun nicht mehr berufsstätig, bekam auch kein Geld für die Kinderbetreuung, während ihre Schwester Therese etliche Jahre gutes Geld verdiente, welches sie größtenteils sparte. Als meine Oma heiratete und selber ein Kind bekam, war es vorbei mit der Kinderbetreuung von Hilde, denn meine Oma mußte selber arbeiten gehen. Während Hilde zuhause eine glückliche Kleinkindzeit verbrachte, mußte meine Mutter eine trostlose Kleinkindzeit in einer evangelischen Kinderaufbewahrung verbringen. Über diese grauenvolle Zeit schrieb ich hier:

http://barrynoa.blogspot.com/2008/07/die-trostlose-kindheit-meiner-mutter.html

http://barrynoa.blogspot.com/2008/07/die-trostlose-kindheit-meiner-mutter_23.html 

Therese schaukelte es so, daß sie einmal das Haus Schulstraße 5 allein bekommen sollte und ihre Geschwister schauten in die Röhre, mußten ausziehen oder sich selber ein Haus bauen, wie mein Opa und meine Oma (Gertrud). Mein Opa fing 1927 an ein Haus zu bauen, das Haus in dem ich heute wohne. Da er Maurer war, machte er alles selber, dennoch brauchte es Geld, was auch zwei Verdienste nicht aufbrachten, darum Kredit. Zu dieser Zeit gaben die Banken kaum Kredite, darum bat er Therese um ein Darlehen von 1000 Reichsmark. Das gewährte sie ihm und ihrer Schwester Gertrud, allerdings zu Wucherzinsen von 10 % und das obwohl viele Jahre lang ihre Schwester ihr Kind kostenlos betreut hatte. Das vergaß mein Opa meiner Tante Therese nie und er konnte sie nie leiden, besonders als er mitbekam, wieviel Geld sie durch das kostenlose Kindermädchen Gertrud hatte scheffeln können. 

Als ihre Tochter Hilde den technischen Zeichner Werner Löwigt heiratete, da richtete Therese den beiden eine exklusive komplette Wohnung im Haus des Max, Schulstraße 5, ein. Alles war hochmodern und nur hochwertige Möbel und Einrichtungsgegenstände, wie sonst nur hochherrschaftliche Menschen es hatten, extra Esszimmer inklusive. Das junge Ehepaar bekam das ganze Haus und Therese zog mit Max in ein schäbiges Nebengelaß in zwei winzige klamme Zimmerchen. Für das Glück ihrer Tochter Hilde war ihr nichts zu unbequem. Nicht nur das, sondern am Tage machte sie den kompletten Haushalt, wenn ihr Schwiegersohn arbeiten ging und ihre Tochter Hilde baden ging oder in ihrem Sportverein sich betätigte, da sie nicht beruftstätig war. Meine Tante Hilde konnte daher ein sorgenfreies Leben führen. Therese bekam nun auch das Haus Schulstraße 5 von Max überschrieben, während die anderen Kinder leer ausgingen. Nur Sohn Franz bekam Geld um sich ein Haus bauen zu können, was er auch tat. Auf dem Ziebigker Kirschberg baute er ein kleines Häuschen, heiratete und bekam eine Tochter, meine Tante Anneliese.

Der zweite damals lebende Sohn Oscar ging leer aus. Er wurde von seinem Vater Max gezwungen eine Buchhändler-Lehre zu machen. Der sensible Junge wurde vom Lehrherren schikaniert und als 14jähriger haute er deshalb nach Hamburg ab und heuerte auf einem Schiff an. Er blieb der Schiffahrt treu, wurde Schiffskoch, bis er als Anfang 50jähriger in Bremen seßhaft wurde. Dazu mehr hier:

http://barrynoa.blogspot.com/2017/06/erinnerung-meinen-onkel-oskar-den.html

Zu der ältesten Tochter, Margarete, genannt Grete, hatte mein Urgroßvater keine gute Beziehung. Sie bekam von ihm gar nichts, während Therese alle bekam. Margarete heiratete einen Angestellten des anhaltischen Herzogs und lebte anfangs in einer großen Wohnung in der Beaumontstraße in Dessau-Nord in feinster Gegend. Nachdem ihr Mann arbeitslos wurde, war Schmalhans Küchenmeister. Ihr Sohn Hans mußte wirklich hungern, so ärmlich wurden die Verhältnisse in der Weimarer Republik für sie, zumal ihr Mann immer noch einen aufwendigen Lebensstil egoistisch pflegte. Der kleine Hans schleppte schon als 7jähriger Koffer für Reisende auf dem Dessauer Hauptbahnhof um ein kleines Salär für Essen zu bekommen. Außerdem erbarmte sich eine Nachbarin und gab Essen. Von der Schulstraße 5, von seinem Großvater und seiner Tante Therese bekam Hans nichts, obwohl dort der Wohlstand ausgebrochen war und Tante Hilde und ihr Mann von einer Vergnügung in die andere starteten. Besonders bekannt waren die Feiern in ihrem Sportverein. 

Tante Rosi, die Frau von Hans, erzählte mir mal in meiner Jugend, daß er drei Tage nichts zu beißen gehabt hatte, deshalb nach der Schulstraße lief und dort anbot im Garten für Essen zu arbeiten. das wurde abgelehnt und man bot ihm an den schon in den Samen gehenden Spinat zu ernten und mit nach Hause zu nehmen, den sollte seine Mutter kochen. Er tat das und hörte beim rausgehen, daß man sagte, daß der Spinat sowieso nur noch für die Hühner taugen würde. Das kränkte ihn sehr, da er sah wie Hilde verwöhnt wurde. Obwohl Hühner gehalten wurden, bekam er nicht ein einziges Ei mit, obwohl er gesagt hatte, daß er schon drei Tage nichts zu essen gehabt hatte. 

Das Glück unter den Geschwistern Dennhardt war auch später sehr ungleichmäßig verteilt. Als 1945 Dessau im Bombenhagel versank und das Haus meiner Großeltern schwer getroffen wurde, da hatte Therese und das junge Ehepaar Werner und Hilde wieder viel Glück. Bei Bombenangriffen fuhr das junge Paar immer mit den Fahrrädern in den nahem Wald, nur Therese blieb zuhause und als eine Brandbombe im Dach einschlug löschte sie diese eigenhändig, sonst wäre das das ganze Haus abgebrannt. Das Haus Schulstraße 5 blieb unversehrt, nicht ein Zimmer war demoliert, alles war zum Kriegsende wie zu Friedenszeiten. Ihre Schwester hatte weniger Glück, neben der Armut und daß ihr Sohn Hans viele Jahre an der Front als Soldat kämpfen mußte, trotz gesundheitlicher Einschränkungen, während der kerngesunde Schwiegersohn von Therese, Werner Löwigt, während des ganzen Krieges schön zuhause bleiben durfte und nicht einen einzigen Tag Soldat war, was meine Tante Margarete Zeit ihres Lebens grämte über soviel Ungerechtigkeit im Leben, da wurde sie auch noch ausgebombt in ihrer Wohnung in Dessau-Nord. Sie versuchte in ihrem Elternhaus Aufnahme zu finden und dort wurde sie von ihrer Schwester Therese und dem jungen Paar abgewiesen, obwohl genug Wohnraum vorhanden war. Mein Opa war nicht so kaltherzig und nahm Margarete auf, obwohl das Haus zerstört war und nur die Kellerräume noch standen. Einen dieser Kellerräume bekam sie von ihm, in den anderen hatte er schon, zusätzlich zu seiner Frau und seinen 3 Kindern, darunter meine Mutter, auch noch seine ausgebombte Mutter, seine Schwester und deren Mann aufgenommen, alle in diesen paar Kellerräumen, während das Haus Schulstraße 5 viele Zimmer hatte, die nur von Therese und dem jungen Paar bewohnt wurden.  

Mit den Eiern der Hühner war es sowieso so eine Sache, die wurden, von Max bestimmt, auf dem Markt verkauft. Seine Frau mußte jeden Sonnabend zum Markt gehen und Eier verkaufen. Jedes Kind bekam nur am Sonntag ein halbes Ei. Auch wenn meine Mutter als Kind zu Besuch bei ihrem Großvater war, als sie schon in Törten in dem von meinem Opa gebauten Haus wohnte, da bekam sie niemals ein Ei zu essen, obwohl sie mit ihrem Großvater zusammen immer die Hühner fütterte.  

Geld wurde von Max und Therese gespart ohne Ende und schließlich lagen 6.000 Goldmark auf der Bank. Das war zu Kaisers Zeiten eine hohe Summe, wo ein Herrenanzug 20 Goldmark kostete. Während andere Bürger die Goldmark zu hause horteten, legten die naive Bürger auf der Bank wegen der Zinsen an und nach dem verlorenen 1. Weltkrieg waren die Bankguthaben futsch, während alle Goldmünzenbesitzer ein sorgenfreies Leben führen konnten, denn Gold war und ist noch immer wertbeständig. Ob wirklich alles futsch war, weiß man nicht. In der Familie munkelte man, daß die 6000 Goldmark doch nicht auf der Bank waren und allein Therese bekam, was die anderen Geschwister nicht wissen sollten. Wie es wirklich war, wird man heute nicht mehr feststellen können. 

Wen mein Urgroßvater Max allerdings auch noch mochte, neben seiner Lieblingstochter Therese, das war seine Tochter Martha. Die hatte einen reichen Münchener Unternehmer geheiratet und sie wohnte mit ihrem Mann und ihrer Tochter Hanni in einer luxuriösen Wohnung in der Prinzregentenstraße in München. Sie war eine herzensgute Frau und unterstützte ihre Geschwister, auch meine Oma und meine Tante Margarete. Ohne Martha wären Margarete und Sohn Hans verhungert. Auch mein Urgroßvater Max bekam immer wieder Geschenke von Martha, was ihn freute und die Sympathie zu Martha steigerte. Wenn Martha mit ihrem Mann und Tochter zu Besuch nach Dessau kamen, war das immer ein Ereignis, denn sie kamen im eigenen Luxusauto und ein Auto hatte in der gesamten Familie sonst keiner, in den 20er und 30er Jahren. Brieflich hatte ich Tante Martha noch kennen gelernt, auch ihre Tochter, Hanni Zier, eine ausgebildete Opernsängerin, die dann später allerdings als Oberstudienrätin an Musikgymnasien arbeitete, die den Celler Oberbürgermeister geheiratet hatte. Sie wurde 100 Jahre alt.

So, liebe Frau Münch, Sie sehen, es ist nicht alles Gold was glänzt und es gibt keine Gerechtigkeit auf Erden, besonders nicht, wenn man eine Familiengeschichte ungeschönt wiedergibt.

Viele Grüße

Ihr Bernd Nowack  

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